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Doris Uhlich im TQW Interview über Zukunftspläne, Utopien und Helene Fischer

Sag Mal, spürst du das auch?

Sag Mal, spürst du das auch?

TQW: Diese Woche würde das TQW „Habitat/Halle E“ zeigen. 120 Menschen, die sich teilweise schweißnass berühren und nackt aufeinander wälzen, in Zeiten von Covid-19 ein regelrechtes Horrorszenario. Du hast angeblich einen Plan B, um die Produktion im Herbst an unterschiedlichen Häusern (u. a. Münchner Kammerspiele, Mousonturm Frankfurt) zur Aufführung zu bringen. Wie sieht der aus?

DU: Im Moment habe ich regelmäßigen Kontakt mit den Häusern, weil sich die Situation und die Auflagen ständig ändern. Zuerst ist das große Thema die Anzahl der Personen im Raum, die muss natürlich angepasst werden. Wenn das geklärt ist, definieren wir das Verhältnis Performer*innen und Zuschauer*innen. Das muss gut durchdacht sein, damit es dramaturgisch auch stimmig ist. Die Performer*innen sind vereinzelt im Raum wie Inseln verteilt und zunächst solistisch unterwegs, sprich: Es gibt keine Berührung. Inhaltlich ist es gerade deswegen spannend, weil man sich im Moment – wie ja schon die Frage impliziert –kaum eine utopischere Konstellation von Berührung und Bewegung als Habitat vorstellen kann. Das betrifft sowohl die furchtlosen Berührungen der Performer*innen untereinander als auch den Kontakt und die mögliche Nähe zu den Zuschauer*innen. Gerade deshalb finde ich es spannend, das Konzept umzukehren und in eine Vereinzelung zu gehen, in eine Art Verunmöglichung von Körperkontakt. Bei dieser Version beschäftigt mich auch sehr die Melancholie. Davon abgesehen bin ich auch mit Virolog*innen im Austausch – was bedeutet Schweiß, was bedeutet der nackte Körper, wenn es um Übertragungsprozesse geht? Ich plane, die Dramaturgie so aufzubauen, dass man Zeit hat, sich auf die Situation einzulassen, und dass sich trotz Sicherheitsabstand auch allmählich Energie im Raum steigern kann. Auch transparente Schutzanzüge sind ein Thema, da sie Berührungen ermöglichen könnten.

TQW: Das bedeutet eigentlich mehr als nur eine Adaption deines Stücks.

DU: Ja, eigentlich ist es ein neues Konzept. Ich beschäftige mich gerade viel damit, wie ich meine bisherigen Arbeiten umsetzen kann. Und bei Habitat finde ich das am spannendsten, weil es aus heutiger Sicht wie ein „Anti-Corona-Projekt“ wirkt – viel Nähe, Körperausdünstungen, gemeinsames Atmen, keine Furcht vor Ansteckungen.

TQW: Du hast eigentlich auch Stücke im Repertoire, die relativ einfach umzusetzen sind, wie das Duett „stuck“ und das Solo in einem Plexiglascontainer „TANK“.

DU: TANK ist ohnehin das Covid-19-Stück par excellence. Es mutet regelrecht wie eine Prophezeiung an – der isolierte Körper hinter einer Plexiglasscheibe, der sich in der transparenten Röhre mit einem Meter Durchmesser bewegt. Aber im Grunde genommen wirken auch stuck und Habitat im Nachhinein, als wären sie Vorboten unserer momentanen Situation. stuck, in dem es um die Unbeweglichkeit, um das Feststecken geht, um die Isoliertheit der Körper, die sich im Stück nur zweimal kurz berühren und in einer Leere schweben wie in einer Landschaft von Samuel Beckett. Und schließlich Habitat als der totale Gegenentwurf, der zurzeit wie Lichtjahre entfernt scheint.

TQW: Allerdings. Warum machst du es dir nicht einfacher?

DU: Ich finde jetzt gerade Ensemblearbeiten spannend und nicht nur Solis. Es ist interessant, herauszufinden, was möglich ist, auch wenn ich dabei sicher keine unnötigen Risiken eingehen will.

TQW: Apropos Risiken. Reisen ist ja gerade auch keine einfache Sache, es herrschen viele Missverständnisse, was man darf und was nicht. Du hast mit „Ravemachine“ für 2021 sogar eine Chinatour geplant.

DU: Eigentlich sind wir, was den Herbst betrifft, optimistisch. Planen ist aber natürlich sehr schwierig, seien es plötzlich geschlossene Grenzen oder Quarantänemaßnahmen. Oder die Frage, was passiert, wenn ich in einen Cluster komme. Wenn ich unterrichte und toure, treffe ich an die hundert Leute pro Tag. Natürlich hat man Angst, alles wieder umsonst vorzubereiten. Was ist, wenn eine zweite Welle kommt? Die Situation ist einfach … sauschwer. Eine Bremse. Ich hatte noch nie so einen vollen Touringkalender wie dieses Jahr, und innerhalb einer Woche war er Vergangenheit. Aber was soll ich machen? Man ist einfach in einer Warteposition. Pläne für eine neue große Produktion 2020 erscheinen mir absurd. Da würde ich eher 2021 ins Auge fassen.

TQW: Was hat sich finanziell für dich geändert?

DU: Im Gegensatz zu vielen anderen bin ich nicht in finanzieller Not. Ich habe eine Konzeptförderung und damit ein Budget für Recherchen und administrative Arbeit, aber natürlich ist das auch produktionsgebundenes Budget, und ich muss haushalten. Ich merke am Kontostand, dass sich etwas verändert hat. Das Touring fehlt einfach. Leute ohne Förderung sind natürlich viel stärker betroffen. Außerdem habe ich für den Herbst schon zwei Absagen eingefangen, eine von einem Festival, dessen Sponsoren aufgrund von Corona abgesprungen sind und das nun nicht stattfinden kann. Für viele kommt die existenzielle Bedrohung also von unterschiedlichen Seiten.

TQW: Wird sich die derzeitige physische Distanz langfristig in die Körper einschreiben?

DU: Dafür dauert das Ganze wahrscheinlich zu kurz. Momentan denke ich, es müsste sehr viel Zeit verstreichen, damit sich etwas über lange Sicht in Körpern manifestiert. Eine Narbe könnte jedoch bleiben. Die körperlichen Erfahrungen im Alltag haben sich derzeit schon drastisch geändert und sind auch immer Thema in all meinen Trainings, die ich derzeit über Zoom gebe. Jede*r ist auch anders locker, von Vorsicht bis hin zu Gelassenheit. Generell sind die meisten Menschen schon extrem verunsichert. Wenn es Medizin und Impfungen geben wird, werden Ängste hoffentlich wieder abgeschüttelt werden. Die meisten Menschen wollen einfach Berührung und eine Leichtigkeit im Umgang miteinander.

TQW: Tanz ist ja nach wie vor auch etwas, wo Leute hingehen, um schöne, trainierte Körper zu sehen. Viele deiner Stücke zerlegen Schönheitsideale, Körpernormen. Das ist ein zutiefst feministisches Thema, dennoch fällt der Begriff fast nie in Zusammenhang mit deinen Arbeiten. Eine wie große Rolle spielt Feminismus darin?

DU: Ich glaube, meine Arbeit hat eine solche feministische Kraft, dass ich gar nicht hinzeigen muss. Meine Ankündigungstexte haben sich auch verändert, ich versuche, darin nichts mehr zu postulieren, sondern es in den Arbeiten umzusetzen. Vielleicht ist das ja auch ein Fehler und die Texte sollten wieder offensiver sein.

TQW: Der feministische Ansatz deiner Stücke fehlt ja auch oft in der Rezeption, so als hätten wir das schon hinter uns gelassen und als wären die unterschiedlichen Körper, mit denen man in deinen Arbeiten konfrontiert ist, auf den Bühnen inzwischen selbstverständlich. Ein Rezensent schrieb über „Habitat“ etwa: „[…] zu hedonistisch, um wirklich zu irritieren.“ Was kannst du mit dieser Kritik anfangen?

DU: Wenig. Zu schön, zu utopisch, zu wohlwollend – auch das habe ich als Kritik gehört. Die Gleichung „hedonistisch = oberflächlich“ finde ich überholt. Hedonismus kann ja auch subversives Potenzial haben. Dürfen wir uns etwa nicht auch spielerische, exzessive künstlerische Momente erlauben? Ich finde es auch wichtig, einen Gegenentwurf zu erfinden, wie Donna Haraway das fordert. Ich schreibe eine neue Geschichte. Ich recherchiere Empathie und Gemeinschaft und möchte sie erfahrbar und erlebbar machen, das ist der politische Motor dahinter. Ich entscheide mich für eine Performance, bei der wir zweieinhalb Stunden in einem utopischen Vakuum landen, in dem man etwas erleben kann, das man im Alltag nicht erleben kann. Elias Canetti beschreibt in „Masse und Macht“ etwa Menschen, die sich zusammentun, um sich von anderen Menschen abzugrenzen, diese auszuschließen. Habitat ist der Versuch, eine Menschenmasse zu erzeugen, die divers und offen anderen Körpern gegenüber ist.

TQW: Wie kann man sich das Casting für „Habitat“ vorstellen? Wie sehr ist Diversity dabei ein Thema?

DU: Der Call versucht, alle Menschen anzusprechen, und wir versuchen, Leute zu erreichen, die durch ihren sozialen oder kulturellen Background eher nicht mit der Tanzszene in Berührung kommen. Wir haben auch aktiv Menschen angesprochen. Aber natürlich geht es in der Arbeit um Nacktsein, und das macht es nicht einfacher. Ich tue mir schwer, Überzeugungsarbeit zu leisten, wenn es Vorbehalte religiöser oder auch kultureller Natur gibt. Natürlich ist es einfacher, Teilnehmer*innen zu finden, die sich ohnehin schon für Tanz und Performance interessieren. Ich würde mich freuen, würden mehr Leute mit einem anderen kulturellen Background auf den Call reagieren. Vermutlich müssen wir uns noch mehr Gedanken darüber machen, wie wir diese Leute erreichen. Anfangen, Diversity zu schaffen, müsste man eigentlich in Ausbildungsstätten und Universitäten. Das würde das Feld enorm aufmachen. Es ist noch sehr viel Arbeit zu leisten, um grundlegend etwas in Richtung Diversity zu verändern. Dafür müssen sich die Institutionen aktiv einsetzen, und man darf nicht warten, dass das von allein passiert, sonst können diese Barrieren nicht abgebaut werden. Niemand fühlt sich angesprochen, wenn sie*er nicht direkt adressiert wird.

TQW: Apropos ansprechen: Bei „Habitat“ gab es kurz die Idee, Helene Fischer zu kontaktieren. Angeblich wurde sie am Attersee gesehen – wo du dich seit Beginn des Corona-Lockdowns auch aufhältst –, sie hat dort womöglich eine Villa gekauft. Wenn du sie siehst, wirst du sie ansprechen?

DU: Garantiert. Das Erste, was ich ihr zurufen würde, wäre: „Sag mal spürst du das auch?“ (Anm.: Das ist eine Songzeile aus dem Lied „Achterbahn“ von Helene Fischer.) Ich würde sie fragen, ob sie mit mir auf einen Kaffee geht, und ihr sagen, dass ich auch Künstlerin bin. Es gibt sicher viel zu reden: über Körper und auch über Disziplin. Vielleicht kann sie mir auch Singen beibringen!

TQW: Was machst du sonst am Attersee?

DU: Wie fast alle: Sport! Mit dem Schlauchboot rudern und viel bergauf laufen. Danach schüttle ich mich nackt. Das muss sein!

TQW: Klingt nach einem vielversprechenden Sommer am Attersee!

 
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