Sagbares, Machbares
Intimacy is the ultimate currency
Es hat an die 30 Grad als ich zum Queer Performance Festival Vienna S_P_I_T_ komme. Im Neonlicht zwischen den warmen Mauern fühlt es sich an, als wäre das MuseumsQuartier schon immer hier gewesen; ein riesengroßer Salzstein, der Tanz und Performance, Readings und Meetings beherbergt. Alle, die vor Ort arbeiten, sind ausgesprochen freundlich, die Getränke sind kalt, ich fühle mich wohl. Im Artist Talk zu Beginn des Abends, gehostet von Hyo Lee, kommen bereits Bündel von Themen zusammen, entfalten und verknoten sich neu; es geht um Queerness, Care-Arbeit, Körpergefühl, Geschlechtsexpressionen, Sichtbarkeit. Letztere ist dieser Tage eine schmerzhafte Erfahrung für mich, es ist derzeit unmöglich, von meiner Wohnung zum Studio zu gelangen, ohne mehrfach von Gaffern belästigt zu werden. Hier teilen viele diese Realität. Zwischen Artist Talk und der Performance von Ainhoa Hernández Escudero darf ich mich auf den violetten Sofas der TQW Bar bei meiner Frau kurz darüber ausweinen. Wir trinken etwas, dann beginnt The Torch, the Key, and the Snake.
„ancient counter-hegemonic traditions and esoteric practices“
Im kühlen, eingenebelten Saal geht es gleich um nicht weniger als die Höhle der Bewusstseinswerdung, um platonische Selbstliebe, um Stöhnen und Lachen, um Fragen und Suchen. Die technisch versierte Ausführung und die energetische Taktung sorgen für ein immersives Erlebnis. Ich frage mich, ob diese Art von Performance, die Hunderte Layer hat, viele Subkontexte, viele Medien inkludiert, neu kreiert und zitiert, eigentlich die einzige Kunstform ist, die es vermag, die unendliche Dissonanz und Kulmination unserer gegenwärtigen Realitäten abzubilden und dadurch einzigartig narrativ zu arbeiten. Es passieren viele Dinge gleichzeitig, Esoterik und Mystik, Informationstechnik, Selbsterkennung durch Computerspiel, Selbstgeburt durch Tanz. Gebündelt durch starke Choreografie und Filmarbeit sind es breit angelegte philosophische Themen, die subjektiv bearbeitet werden. Bei anderweitig minimalistisch gesetztem Text bleibt die Frage offen, welche Emotion die Schlusssequenz verfolgt, in der grüne Flüssigkeit in drei metallene Feuerkessel gegossen und angezündet wird. Dazu repetitive Gesänge über Hexerei: „Witchcraft/Bitchcraft“. Ein Thema, das sich aus der mystisch angelegten Ästhetik der Performance natürlich ergibt und im Tanz-/Performancebereich, vor allem im feministischen Kontext, viel bearbeitet wird. Hexenverfolgung und Magie nicht als Dungeons-and-Dragons-Cyber-Fantasy, sondern als reale Kontinuität. Angesichts von systemischer Ermordung jüdischer Menschen, unbequemer Frauen, mental kranker Menschen, schwuler, queerer und trans Personen bedarf es einer klaren ästhetischen Linie, die Solidarität und Ernsthaftigkeit vermittelt. Gemischt mit Mantras einer politischen Sprache, die mit Parolen von Gewalt und Auslöschung kokettiert, lässt Hernández Escudero hier einen rechtsoffenen, nordischen Ausdruck von Mystik und Hexerei nicht nur zu, sondern legt ihn nahe. Dass die brennenden Kessel mich an diesem Punkt davon abhalten, den Raum zu verlassen, macht die Situation schlimmer. Popkultur und Gesellschaft zu spiegeln, zu verfremden und auch zu produzieren ist die kreative Natur der Performance Kunst. Sie passiert in dem Moment, in dem wir am selben Ort sind und diese Situation erleben. Sie ist kein abgeschlossenes Medium, kein Film, kein Produkt. Die theatrale Situation, das Vertrauensprinzip eines Performance-Space auf diese Art und Weise auszureizen ist ein bitterer Geschmack von Spiritus, der mir trotz der immersiven Qualität und der prägnanten Produktion von The Torch, the Key, and the Snake im Mund verbleibt.
Um gemeinschaftliche Auseinandersetzung geht es auch bei Aaron Josi Sternbauers Bathing in Resonance. Als wir den Raum betreten, ist Sternbauer schon on stage, auf dem Bauch liegend, den Kopf in eine große, mit Wasser gefüllte, Glaskugel gelegt. Ein Klavier, helles, sanftes Licht, ein starker Geruch von Parfüm liegt in der Luft. Die partizipative Natur der Performance wird von Anfang an geteast. Wir sind eingeladen, in einen intimen Raum einzutreten. Ein bewegender Prozess entfaltet sich unter sanft oszillierenden Lichtern, der Weg vom ersten, blubbernden Klang zur vollen Melodie. Aus der starken, aber doch vulnerablen Startposition auf dem Bauch emanzipiert sich Sternbauer durch verschiedene Modi der Bewegung, des Tanzes und des Gesangs. Beim Klavier am rechten Bühnenrand entsteht durch Stimme und Instrument nach wellenhaften Improvisationen eine klare Melodie. Das Publikum ist eingeladen, mitzusingen. Und es singt. Ebenfalls ein vulnerabler Moment, der auch Live-Musik zu einem guten Erlebnis macht. Man könnte behaupten, auch die eine oder andere Glaubensgemeinschaft vermittelt durch gemeinsames Singen ein Gefühl von Community, von Zugehörigkeit und gewinnt/bindet dadurch Mitglieder. Ausgesprochen unfromm und frei, ernsthaft und ehrlich spielt sich Sternbauer immer mehr zum Publikum hin, bis am Ende ungezwungene Interaktion und gemeinsames Singen wie eine logische Konsequenz erscheinen. Leichtigkeit, Heiligkeit, all das kann Wasser sein, all das kann künstlerischer Ausdruck kommunizieren.
„I’m so respectable I could puke.“
Avantika Tibrewalas Trashed My Title schließt den bereits spät gewordenen Abend auf popkulturell ausgerichtete Art und Weise. Wir sind zum Dinner eingeladen, Menükarten werden beim Einlass ausgeteilt. Auch müssen wir uns durch einen Türspalt quetschen, in dem Tibrewala und ein Performer nackt stehen. Seit Marina Abramović und Ulay hat es sicher noch ein paar Dutzend Performer*innen gegeben, die dieses Spiel so oder so ähnlich inszeniert haben. Schockiert bin ich deshalb nicht, unangenehm ist es mir trotzdem. Es ist klar, hier geht es um nackte, laute, extreme Themen, um die Konfrontation mit Geschmack, dem guten und dem schlechten. Die Revue beginnt mit einer Körperausstellung des Performers, der nun auf einem Sessel in der Bühnenmitte Posen einnimmt und sequenziert tanzt. Sogenannte klassische Musik tönt aus den Lautsprechern. Ob Stellvertreterperformance für das, was die westliche Welt als Hochkultur ansieht, oder bloßer Zeitvertreib? Ein*e DJ verkündet, dass die Show erst jetzt beginne. In der Bühnenmitte nun Avantika Tibrewala auf einem Stuhl in akrobatischer Pose. Der Abend beginne jetzt, und das Publikum dürfe entscheiden, von der Menükarte wählen. Die Wahl fällt relativ einstimmig auf „Bad Taste … Rawrr“. John Waters, „pope of trash and bad taste“, hat vergangenes Jahr in Bezug auf seine Academy-Award-Retrospektive gesagt: „I’m so respectable I could puke.“ Die Resilienz, den sogenannten Trash in die Hochkultur zu inkorporieren, dem Mainstream aus einer entrückten Position den Spiegel vorzuhalten, ist nur eine mögliche Definition von Camp, von Kitsch als Überlebens- und Reformationsstrategie unserer audiovisuellen Kultur. Was „bad taste“ also für Tibrewala ist: Cardi B tönt, es wird getanzt und gerufen „I am your bad taste! I am what you can’t get enough of“. Es geht um Sexualität, um eine Protagonistin, die diese genießt, und ein Publikum, das sich dieser verschließt, sie aber heimlich begehrt. Die ewige Dialektik zwischen High und Low Art, deren Auslotung findet im Raum, vor Ort statt. Unfreiwillig werde ich gegen Ende Teil der Performance. Ein Moment, auf den ich ehrlicherweise nur gewartet habe. Als ich höflich verneine, den Hintern des anderen Performers mit Glitzeröl einzureiben, wendet sich die Künstlerin einer anderen Zuseherin zu, die mehr Abenteuerlust hat. Viele aus dem Publikum gehen dann auf die Bühne, tanzen gemeinsam. Vor dem TQW hat es noch immer gut 28 Grad. Ich gehe mit vielen Gedanken dazu, was sagbar ist, was machbar ist, nach Hause. Kaltgelassen hat mich keins der drei Stücke. In Summe ein Erfolg.
Veronika Johanna König (Geb. 1997 im Schwarzwald) lebt und arbeitet in Wien. Als FARCE auf Tour und im Radio. Komponiert für Theater und Film, engagiert sich im feministischen Untergrund und an der Schnittstelle zum akademischen Diskurs.