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Karin Cerny über Apollon von Florentina Holzinger

Schmerz und Scherz

Florentina Holzinger Apollon

Schmerz und Scherz

Florentina Holzingers Apollon ist eine schräge Freakshow, die feministische Neuinterpretation eines Ballettklassikers und garantiert einer der wildesten Tanzabende, den man zurzeit sehen kann.

Aua, das tut doch weh! Florentina Holzinger steht in ihrer jüngsten Arbeit Apollon nackt an der Rampe und haut sich mit dem Hammer einen acht Zentimeter langen Nagel in die Nase. Ihre Kollegin Evelyn Frantti, ebenfalls nackt, schiebt sich einen beunruhigend langen Luftballon in den Schlund, der durch den Körper zu wandern scheint. Sie zieht die leere Hülle aus ihrer Vagina. Halt, das geht doch gar nicht, oder?

Die Performances der Wiener Künstlerin Florentina Holzinger, Jahrgang 1986, haben stets einen doppelten Boden. Schmerz und Scherz liegen nahe beisammen. Ist das jetzt total arg oder einfach nur lustig? Meist beides. Holzinger liebt Theatertricks, die oft direkt aus der in der Performance eigentlich verpönten Welt des Zirkus und der Freakshow kommen. Sie hat in frühen Arbeiten halsbrecherisch-akrobatisch an Seilen geturnt. Aerial Silk nennt man diesen Sport, den gerade auch Helene Fischer in ihrer Konzerttour einsetzt. Aber um Genregrenzen hat sich die Extremperformerin, die in Holland studiert hat, ohnehin noch nie gekümmert: Auch in Apollon werden schwere Gewichte gestemmt, Superheldinnen- Flugszenen geprobt, wie man sie in Stunt-Schulen lernt, ein mechanischer Bulle wird geritten und mit echten Schweißmaschinen abmontiert. Und am Ende gibt es eine Anal-Polonaise mit Dildos, die irritierend unschuldig aussieht. Was Holzinger an einem Abend liefert, bekommt man bei anderen in fünf Shows nicht zu sehen. Beeindruckend, wie sie das alles zusammenbringt: Grausamkeit und Schönheit, Herausforderung und Unterhaltung, Tradition und zeitgemäße Neuinterpretation.

Bereits mit ihrer ersten Arbeit, „Kein Applaus für Scheiße“ (2011) – in Zusammenarbeit mit dem Niederländer Vincent Riebeek entstanden –, traf popkulturelle Lässigkeit (Songs von Rihanna) auf eine ironische Neuinterpretation klassischer Body-Art aus den 1960er-Jahren. Was damals schockierte, überraschte plötzlich durch eine neue Lockerheit. Wenn Holzinger wie ein verspieltes Kind durch eine Urinpfütze ihres Kollegen rutschte, wirkte das absurderweise ansteckend naiv, wenn Riebeek blaue Flüssigkeit auskotzte, sah das seltsam schön aus. Selten machte Provokation mehr Spaß. Auch in Apollon kommen übrigens echte Körperausscheidungen zum Einsatz.

Was als böse feministische Freakshow beginnt, entwickelt sich im Laufe des Abends immer mehr zu einer Neuinterpretation des Ballettklassikers „Apollon musagète“, uraufgeführt 1928. Zur Musik von Igor Strawinsky tritt im Original bei George Balanchine der altgriechische Gott der Künste auf und führt drei weibliche Musen auf den Parnass. Holzinger hat eine Art Hassliebe zum Ballett: Sie finde die Choreografie „krass schön“, meinte sie in einem Interview, aber die Rollenbilder würden sie nerven. In ihrer feministischen Neuinterpretation gibt es keinen männlichen Gott mehr, der eine Lieblingsmuse erwählt, die Rollen der Frauen sind fluid, sie sind Göttinnen und Musen, muskulöse Kämpferinnen und furchtlose Superheldinnen. Keine von ihnen ist ausgebildete klassische Tänzerin, was den Pas-de-deux-Szenen etwas Sexy-Roughes und zugleich Fragiles gibt. Dabei im nackten Frauenteam sind neben Holzinger etwa auch Renée Copraij, die lange bei Jan Fabre mitgewirkt hat, oder Evelyn Frantti, die eigentlich Sideshow-Performerin ist. In einer der abgefahrensten Szenen schiebt sich diese einen Schlauch durch Nase und Mund, der als Strohhalm fungiert: Jemand aus dem Publikum darf dann einen frisch gemixten Gin Tonic durch ihr Gesicht hindurch trinken. So was erlebt man im Theater nicht alle Tage!

 

Karin Cerny 1968 im Waldviertel geboren, hat in Wien und Berlin Germanistik und Theaterwissenschaft studiert. Sie schreibt regelmäßig über Theater im profil und in Theater heute, über Mode im Rondo und in der Diva.

 

 

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