TQW Magazin
Karin Cerny über Chasing a Ghost von Alexandra Bachzetsis

Schnitzler im Berghain

 

Schnitzler im Berghain

Es ist oft ein schmaler Grat zwischen Flirten und Fratzenschneiden. Vielleicht sind wir irgendwo in einem Club, die Stimmung ist erotisch aufgeladen, der Beat dröhnt. Eine Frau zwinkert einem Mann zu, was als Flirt beginnt, endet als Desaster. Vielleicht haben beide einfach zu viel getrunken oder die falschen Drogen eingeworfen. Ihre Gesichtszüge entgleiten ihnen zunehmend, aus Menschen werden Marionetten, groteske Wesen, die zwanghaft seltsame Bewegungen wiederholen, weil sie ihre Körper nicht mehr im Griff haben.

Das Begehren und das Unheimliche sind die beiden Pole, die das Spannungsfeld ausmachen, in dem sich Alexandra Bachzetsis’ Performance Chasing a Ghost bewegt. Der Abend beginnt wie eine Modenschau: Zwei Tänzerinnen im gleichen Sakko (einmal in Rot, einmal in Blau) – mit breiten Schulterpölstern, als wären sie in Sachen Power-Dressing direkt aus den 1980er-Jahren herbeigebeamt worden – werfen sich in Posen, wie wir sie aus der Werbefotografie kennen. In Strumpfhosen und High Heels, dominant, als würde sie Starfotograf Helmut Newton gerade ablichten.

Die pulsierende Musik kommt nicht vom Band, zwei Klaviere stehen auf der Bühne und machen, was man eigentlich nicht von ihnen erwartet. Die Pianisten Mischa Cheung und Simon Bucher bearbeiten sie wie DJs ihre Turntables. Ein Sound, der nach Techno klingt, aber live auf den Flügeln interpretiert wird. Die Musik ist eines der Highlights dieses Abends, obwohl es noch lauter hätte zugehen können, so, dass eine*n der Sound auch beim Zuschauen körperlicher packt.

Rein tänzerisch betrachtet besteht Chasing a Ghost aus Duetten, wie man sie aus klassischen Balletten kennt, nur diverser, moderner, abgründiger. Es gibt eine tolle Kampfsportszene, in der auch das Motiv des Doppelgängers auftaucht: Die beiden Tanzenden teilen sich einen Trainingsanzug, eine trägt das Ober-, einer das Unterteil. Es gibt ein energetisches Duett zweier Männer, in dem Disco-Moves und Stepptanz fusioniert werden (beide tragen Sakko und Unterhose). Sind sie Paare? Unheimliche Doppelgänger*innen? Surreale Zwillinge wie aus dem Film Shining? Oder kämpfen da unterschiedliche Teile in einer Person gegeneinander? Die Inszenierung deutet an, lässt einiges in der Schwebe.

Zur Entfremdung trägt auch eine Kamera in der rechten Ecke der Bühne bei. Dort wird live gefilmt und auf einen Bildschirm übertragen. Wie ein kleiner Darkroom funktioniert diese Videoüberwachung, Paare küssen sich da in Großaufnahme, Körper winden sich auf Kunstfell, Softpornobilder, die perfekt choreografiert mit erotischen Oberflächen spielen. Ein Tänzer singt eine melancholische, verfremdete Version von Pass This On, dem genderfluiden Begehrensklassiker von The Knife. Bachzetsis, die selbst eine Venus im Pelz gibt, singt ein Chanson. Aber dann überblenden sich Gesichter auf dem Bildschirm, und ganz gegen Ende steht ein Tänzer auf und geht. Irritierenderweise bleibt seine Live-Aufnahme. Was ist stärker: das Original oder das Abbild? Und: Welchen Bildern kann man trauen?

Bachzetsis hat Schnitzlers Skandalstück Reigen, 1912 uraufgeführt, als Inspiration genannt. In zehn erotischen Dialogen demaskiert sich eine Jahrhundertwende-Gesellschaft da selbst, quer durch die Klassen haben die Personen Sex miteinander (und nutzen dabei gnadenlos ihre Machtpositionen aus). Das Stück löste einen Skandal aus, es zeigte den Sexualakt zwar nicht, aber jede*r wusste: Wo im Text Pünktchen waren, ging es zur Sache. Es gibt eine Szene vor und eine nach dem Sex.

Bei Bachzetsis geht es in einem zeitgemäßen Update ums Begehren und darum, welche (medialen) Bilder wir davon haben. Verführung und Konsum, (sexuelle) Identität und unsere Körper, die ihre eigene, oft durchaus subversive Geschichte erzählen. Das Unterbewusste pfuscht in die kühlen Versuchsanordnungen dieser Choreografin und Tänzerin gern überraschend hinein, treibt Keile in die schöne Oberfläche. In ihrer nächsten Arbeit 2020: Obscene (ab 20. Januar 2023 im TQW) soll es noch deutlicher um dieses komplexe Verhältnis von Szene und Obszönität, Körper und Bild gehen. Die Erforschung des Exzesses und seiner Manipulation geht in die nächste Runde: Fortsetzung folgt …

 

Karin Cerny, 1968 im Waldviertel geboren, hat in Wien und Berlin Germanistik und Theaterwissenschaft studiert. Sie schreibt regelmäßig über Theater im profil und in Theater heute, sowie über Mode im Rondo.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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