TQW Magazin
mirabella paidamwoyo* dziruni über Rakete Part 3: caner teker und tiran

Seite an Seite: Männlichkeitskonturen und Porno-Poesie

 

Seite an Seite: Männlichkeitskonturen und Porno-Poesie

Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank! Was für eine Freude, in diesem Zusammenhang über das Rakete Festival zu schreiben. Queerness, Blackness, Körper und Transformation. Die offensichtlichen Ähnlichkeiten bringen manchmal die größten Unterschiede zum Vorschein. Was bedeutet es, Schwarz zu sein? Das lässt sich nicht auf einen Aspekt reduzieren, und das Gleiche gilt für queer sein. Die vielen unterschiedlichen Versionen, die wir durch unsere Kunst und unsere Existenz schaffen und manifestieren, sind wunderschön, kraftvoll, inspirierend und in jedem Fall der Mühe wert.

Ich bin voreingenommen und stolz darauf. Was soll ich sonst tun in einer Welt, die mich immer noch nicht hört und sieht, wenn ich Verletzlichkeit und Ehrlichkeit performe? Wenn ich sehe, wie queere und/oder Schwarze kreative Künstler*innen sich behaupten und etwas Persönliches zeigen, bekomme ich eine Gänsehaut, und unabhängig davon, ob es mir gefällt oder nicht, möchte ich es sehen, hören und ihm Raum zum Atmen und Wachsen geben. Selbst wenn ich einige der Dinge, die ich erlebe, nicht komplett nachvollziehen kann, kann ich die bewusste Entscheidung treffen, mit ihnen mitzufühlen, da ich mit ihrer Hilfe aus meiner Haut schlüpfen und die Welt durch die Geschichten anderer betrachten kann. Manche anderen Dinge, die ich mir ansehe, fühlen sich an, als wären sie Teil meiner eigenen Geschichte, ein kleiner Teil dessen, was ich selbst fühle und erlebe, in Form von poetischen Resilienztänzen, die mich darin bestätigen, dass ich nicht völlig verrückt bin, bestimmte Dinge zu denken und zu fühlen. Und, wie wir mittlerweile alle wissen: Repräsentation ist wichtig!

Was bedeutet Männlichkeit überhaupt? Ich würde von mir selbst sagen, dass ich eine ziemlich männliche Energie und ebenso ausgeprägte weibliche Züge habe. Also, was bin ich nun: männlich oder weiblich? Da Gender so ein fluides, gleichzeitig aber auch fragiles Konstrukt ist, ist alles möglich, was wir uns vorstellen wollen. Und als Gesellschaft haben wir noch einiges an Arbeit vor uns, bis jede*r Einzelne sich sicher sein kann, einfach so sein und so leben zu dürfen, wie er*sie ist.

Das Hin und Her zwischen den Männlichkeiten der Performer hat mir sehr gefallen, weil es gezeigt hat, dass wir alle irgendwie in einer Dualität existieren, oder mindestens in einer Dualität, vielleicht auch mehr als das …

Wer, was, wann, wo ist Männlichkeit definiert? Es scheint immer so, als würden wir die Antworten darauf kennen, aber wenn sich queere Männlichkeit vor unseren Augen offenbart, erkennen wir dann nicht alle ein bisschen von uns selbst darin? Und ist es daher nicht unmöglich zu verstehen, was ‚Männlichkeit‘ oder ‚Weiblichkeit‘ überhaupt bedeutet? Wir sind einfach, was wir sind, und bezeichnen bestimmte Eigenschaften als männlich oder weiblich, ohne wirklich zu wissen, wie diese beiden ‚Gegensätze‘ überhaupt zu definieren sind.

Ein testosterongeladener Herzschlag, der sich in die Stereotypen schwuler männlicher Zärtlichkeit einfügt. Hier eine kurze Beschreibung des Settings für diejenigen, die es nicht selbst miterlebt haben: Wir hören einen dröhnenden Bass, die beiden Performer befinden sich auf den gegenüberliegenden Seiten des dunklen Raums. Wir setzen wir uns am Rand hin, wo wir wollen. Ein langsames, aber aufgeladenes Duett. Was ist das, was wir da miterleben? Ein Moment der Lust, dekonstruiert zu einem Tanzstück. Liebe, Intimität und zwei ineinander verschlungene eingeölte Körper. Als Publikum werden wir mit Formen und Konturen gestreichelt, im Ring wird schamlos ein Tanz der Liebe gekämpft, die Spannung reißt nicht ab und lässt uns den Atem anhalten. Momente der Stille, um die Vibrationen des schweren und lauten Basses zu spüren, der die Geschichte unterstreicht, die caner teker und Élie Autin vor unseren Augen erzählen. Wir haben alle unsere eigene Sichtweise auf Performances, und das ist auch gut so: Wir bringen immer auch unsere eigene Lebenserfahrung mit ein und können in gewisser Weise nur das sehen, was wir wahrnehmen können. Ich liebe Performance-Porno – vor allem, wenn die Darsteller*innen in einem Raum, in dem alle Blicke auf sie gerichtet sind, die Spannung aufrechterhalten können, als befänden wir uns in einem intimen Setting. Applaus! Applaus! (Um das klarzustellen: Unter Performance-Porno verstehe ich alles, was Spannung, Sinnlichkeit, Sexualität, Poesie und Intention mit einschließt.)

Im zweiten Studio heißt uns eine ähnliche Spannung willkommen. Zwischen blinkenden Lichtern, Schatten und Konturen nimmt tiran uns auf eine emotionale Reise mit. Da ich selbst gerne mit und für Emotionen arbeite, hat mich dieses Stück auf ganz besondere Weise gestreichelt. Von einem versinkenden Herzen über einen Hügel voll neckischer Tränen bis hin zu einem Lächeln, das mich die restliche Nacht nicht mehr losgelassen hat. Einfache, sich wiederholende Gesten, ein sanftes, aber stetiges Murmeln, ein Raum zum Einnehmen und ein Publikum zum Antanzen. Ich schreibe absichtlich ‚das Publikum antanzen‘ und nicht ‚für das Publikum tanzen‘, denn es fühlt sich so an, als würde tiran dieses Stück für sich selbst tanzen, und wir sind nur Zeug*innen von sich offenbarender Black gorgeousness. Die Lichter hören nicht auf zu flackern, die unverständlichen Worte werden zu Sätzen, die harten Bewegungen des Tänzers zerfallen in geschmeidige Einzelteile. Innerhalb einer Sekunde verändert sich die Energie und der Künstler weiß ganz genau, wie er mit dem Publikum und dem Machtverhältnis in diesem Setting zu spielen hat. Was wie ein unbeschwertes Ende aussieht, ist der härteste Schlag von allen.

Wir dürfen Zuschauer*innen unerzählter Geschichten sein, und wir sollten genau hinschauen und zuhören, denn in der Nuance der Unterschiede liegt unsere Stärke. Damit uns irgendwann einmal nicht mehr nur eine, sondern eine Vielzahl möglicher Erfahrungen von Blackness zugestanden wird … und weil, egal, wer wir sind und wie wir uns verhalten, unsere Männlichkeiten und Weiblichkeiten immer in Bezug auf die Farbe unserer Haut existieren. Wem wird Raum und Aufmerksamkeit geschenkt, einfach zu sein – wann, wo und wie immer er*sie will – und wer muss dieses Recht immer und immer wieder einfordern und darum kämpfen?

Was braucht es also für jede*n Einzelne*n von uns, um Queerness und/oder Blackness zu performen? Eine gehörige Portion Nervosität, eine unerschrockene Haltung, eine tief empfundene Sehnsucht nach einer besseren Zukunft (so kitschig das auch klingen mag) – und dann erwecken wir diese Visionen selbstbewusst zum Leben und erzählen eine Geschichte nach der anderen. Präsentieren einen Bruchteil der unterdrückten und unbekannten Wunder, die das Leben in dieser Zeit, diesem Raum und diesem Körper mit sich bringen.

PS: Was für ein herzerwärmender Moment, als wir am Ende des zweiten Stücks alle auf der Bühne der ersten Performance stehen und uns klar wird, dass wir, Seite an Seite, unwissentlich das Stück mitgestaltet haben.

 

In mirabella paidamwoyo* dzirunis (geboren 1994 in Graz, Österreich, Diplom an der Akademie der bildenden Künste Wien 2021) künstlerischer Praxis stehen Empowerment und gemeinschaftliche Heilungsprozesse im Vordergrund. Inspiriert von alltäglichen Lebenserfahrungen werden dekoloniale und antirassistische Methoden verwendet und erarbeitet, um in diversen öffentlichen und privaten Räumen mit nicht-binärer, queerer, Schwarzer Ästhetik Raum zu beanspruchen. Körper in Bewegung, Selbstinszenierung und kontinuierlicher Energieaustausch sind ebenso wie Malerei, Design und Bildhauerei die Hauptkomponenten dieser komplexen Kreationen, die sichtbare Zeichen der Veränderung setzen.

 
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