TQW Magazin
Lisa Moravec über Ecto-Fictions von Ian Kaler / PARASOL

Tanzkörper, noch einmal mit Animalität

 

Tanzkörper, noch einmal mit Animalität

Wir sitzen in der Blackbox der Halle G. Eine weibliche Stimme aus dem Off füllt den Raum.

A horse is a flight animal.
Even a stallion, if he can,
will choose flight over confrontation.
Picture the most sensitive person you’ve ever known;
a horse is ten times more sensitive.

Wir sehen zwei schwarze Bildflächen.
Auf jede werden Details von Pferdekörpern projiziert.

Die Kameraeinstellung zeigt ihre felligen Köpfe, samt Hals, sich von links nach rechts wendend. Ohren drehen sich in alle Richtungen, werden zugeklappt und wieder gespitzt. Tierisches Verhalten eben.

Eine Blackbox in der Blackbox.
Macht Sinn. Was haben echte Pferde mit Tanz zu tun?

Aufmerksamkeitsstrategien ziehen auch bei Pferden, sind aber unnötig. Neugierig sind sie alle von selbst. Meistens flüchten sie, wenn sie bedrohlich wirkende Dinge sehen.

Pferde kennen keine Scheuklappen. Menschen setzen sie ihnen auf.

Weglaufen und flüchten kommt nicht vor in Ian Kalers Gruppenperformance Ecto-Fictions.
Flucht ins Andere, zu den Anderen schon eher. Wenn, dann aber mit völliger Selbstkontrolle.

Bewegt eine*r der Performer*innen den Arm, rutscht das Bein einer*s anderen zur Seite. Verlagert jemand das Gewicht von rechts nach links, bewegt sich die gesamte Choreografie.

Körperkontakte in Berührung. Direkt und indirekt. Die angewandte Körpertechnik zerteilt jede Bewegung in ihre Einzelteile. Psychosomatik macht das Nervenskelett der Gruppenperformance aus.

Die Tänzer*innen bewegen sich mit sich selbst und mit den tierischen Projektionen. Sie erkunden das Einsame gemeinsam und das Gemeinsame einsam.

Dort, wo die Art ihrer Relationen noch unbestimmt scheint, tauchen von Zeit zu Zeit die körperlose Stimme und die Pferdeprojektionen wieder auf. Sie geben ein bestimmtes Gefühl vor.

Clack, clack, clack, clack,  sagt die Frau, one step at a time.

Während die sanft bewegten Bilder behaarte Pferdekörper zeigen.
Sie deuten Wärme an.

Koordination.
Abstimmung.
Bis ins kleinste Detail.

Die Aufführung schöpft aus Kalers Begegnungen mit Pferden. Seine Erfahrungen des Zusammenseins mit diesen Tieren machen seine Bewegungspraxis, seine Tanzarbeit aus.

Die choreografische Form spielt sich auf einer körperlich-übersinnlichen Ebene ab. Dort, wo Worte keine Bedeutung haben. Verkörperungen und Verinnerlichungen kommen hier unbewusst zum Tragen.

Ecto-Fictions kommt durch die einzelnen Körperrhythmen der Performer*innen zusammen, durch intersubjektives Auflösen und Wiederzusammenfinden.

Es ist zwischenkörperlich.
Es wird auch berührt.

Gegen Ende der Performance wird ein Seil miteinbezogen. Der Gegenstand hilft, gefühlte, somatische Prozesse anschaulich zu machen. Auf eine kurze Tauziehszene folgt eine weitere mit der hohen Holzmauer, die in Wahrheit ein Teil einer Reitbahnabsperrung ist, an der rechten Kante der Bühne.

Sich anlehnen können, an jemanden, an etwas.
Halt geben und nehmen.
Scheinbar spannungslos.

In Ecto-Fictions bewegen sich die Performer*innen bis zu dem Punkt, an dem sich ihre Bewegungen künstlich auflösen. Körperlichkeit selbst kennt keine Grenze.

Die Bühnenaufführung als Endspiel. Ich lese Ecto-Fictions als einen unterschwelligen Liebesbrief an das Sinnliche, an die Animalität, an das, was Menschen mit anderen, Pferden, teilen.

Konkrete Wörter und Bewegungsabläufe kommen und gehen, verinnerlichte Körpererfahrungen und -bilder verweilen länger. Sie existieren abseits der abgedunkelten Blackbox.

 

Lisa Moravec schreibt, forscht und lehrt an der Schnittstelle von Performance und visueller Kunst. Ihr Fokus liegt auf zeitgenössischer Performance, (nicht-)menschlichen Akteur*innen, Technologie und kritischer Theorie ab den 1960er-Jahren. Sie hat Kunst- und Performancegeschichte studiert und kollaboriert in ihrer Schreib- und Ausstellungspraxis mit Künstler*innen. Derzeit erhält sie ein Postdoc-Stipendium, angesiedelt an der Akademie der bildenden Künste Wien, und unterrichtet an britischen und österreichischen Universitäten. Redaktionelle Tätigkeit für Photography & Culture, Platform: A Journal for the Dramatic and Performing Arts. Publikationen in akademischen Journalen (Dance Chronicle, Journal for Dramatic and Performance Criticism), Kunstmagazinen (PW-Magazine, Texte zur Kunst, Burlington Contemporary), Ausstellungskatalogen und Künstler*innenpublikationen.

 
Loading