TQW Magazin
Antonia Rahofer über one und many von Willi Dorner

The nothing. The everything.

 

The nothing. The everything.

Here. Where. No. Nowhere. Ein Tisch mit einer beschreibbaren Tafeloberfläche, eine Kamera, ein Screen. Wo sind die Darstellenden, wo die Dargestellten? Wo beginnt die Bühne, und wo endet sie? Wo spielt sich das „eigentliche“ Geschehen ab, und wohin richten wir unsere Blicke zuerst, wenn sich Handlung und Bühne verdoppeln? Willi Dorners zweiteiliges Programm, bestehend aus den Performances one (2016) und many (2018), stellt Behauptungen auf wie 1 + 1 = 11 und ruft damit in Erinnerung: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Denn mit der Ziffernsumme allein ist es noch längst nicht getan, und ein Bild ist mehr als ein Bild ist mehr als ein Bild. Und falls wir es schon vergessen haben, just to let you know: Der Austausch von nur einem bedeutungstragenden Element verschiebt die Aussage als Ganzes: Was it a bat or a bar I saw? Adidas, adadis oder idadas?

Als Teil von Grammar of Stage, dem Herbstsaisonfokus des TQW, wird die Bühne als Möglichkeitsrahmen und Spielfeld erkundet. Dorner holt sie vom physischen in den virtuellen Raum, macht das Tafelbild zum Bewegtbild und erlaubt dem Bewegtbild wiederum, sich zu verselbstständigen und damit seine eigene Zeitlichkeit vorzuführen. Denn nicht nur die Besucher*innen sind die Zeug*innen dieses Abends, und nicht nur für sie wird inszeniert, sondern auch – oder zuvorderst – für den alles registrierenden und regulierenden Blick der Kamera, dessen Grenzen den Rahmen des Sichtbaren ebenso festlegen wie den hierzu gehörigen Handlungsraum. Indem „live moves“ mit vorab aufgenommenen Bewegungssequenzen in eine gemeinsam als auch gegeneinander orchestrierte Choreografie eintreten, holt Dorner die Erinnerung an das Vergangene, „le souvenir“, in den Bühnenraum hinein und lässt das Abbild als Referent des Abwesenden am Geschehen im Hier und Jetzt teilhaben. Aus Kleidungsstücken werden bewegte Körper, aus Gesichtern werden Geräte, aus Kreide-Schwamm-Spuren wird die Grundierung eines Gemäldes. Geometrische Formen dynamisieren sich, der Akt des Schreibens und Zeichnens beansprucht den Tanz für sich, und der Sound treibt das Geschehen mit an – mal ins Unheimliche, mal ins Komische kippend. Die Einwortgedichte von Heinz Gappmayr bringen die Poesie von Nonsense ebenso ins Spiel wie ein Potenzial zum Politischen, das einem das Lachen mitunter im Halse stecken bleiben lässt. Freeze.

Sei es bei one, sei es bei many, der Betrachter*innenblick ist hier wie dort hin- und hergerissen: Folgt man dem Livegeschehen, entschwindet einem dessen Verdoppelung oder Abweichung am Screen; Folgt man dem Kamerablick, der die Tischplattenansicht über den Umweg des Screens zum digitalen Stand- und Bewegtbild werden lässt, entziehen sich einem all jene Handlungen, die außerhalb dieses Kaders vor sich gehen. Die Performer*innen verdoppeln sich, sie spiegeln sich am Screen, und indem sie die Projektion ihrer Körper und Bewegungen dort mit ihren eigenen Blicken beobachten, wird das Nachvollziehen zum Hervorbringen und das Vergleichen zum Disziplinieren. Am Screen treffen die Arme und Hände in der Jetztzeit auf ihre Abbilder aus der Vergangenheit. Sie treten ihren „digital others“ gegenüber und tanzen und kämpfen mit ihnen, während die guten alten realen Körper auf der Bühne kokettierend einen an Jérôme Bel erinnernden Striptease hinlegen. Pull over the pullover, so ein möglicher Titel dieses Zitats. Mithilfe von Schwarz-Weiß-Kopien wird in many durch die Seiten eines analogen Facebook geblättert, und die Performenden mutieren von Angela Merkel zur „queen of beauty“ und wieder zurück. Nur immer schön lächeln und den Schmollmund in Takt mit der zunehmend fehlerhaften Tonspur halten, die die Pose rasch zur Posse verkommen und das Lächeln lachhaft werden lässt. Aus dem Einen werden viele, und many ist mehr als one: Was bleibt, sind digital ins Unendliche vervielfältigte Körper und ein Gefühl des Alleingelassenseins im Wireless-Äther. Was und wer sind wir? Anschlussfähige „tracking points“ mit auf + und − gepolten Batterieköpfen, deren bloßes Kopfschütteln ausreicht, um ihr eigenes Abbild erfolgreich und zur Gänze auszulöschen?

 

Antonia Rahofer ist Kunst- und Kulturwissenschaftlerin sowie freie Autorin mit einem Fokus auf Film- und Videokunst in transdisziplinären Zusammenhängen. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Cultural Studies an den Universitäten Wien, Innsbruck und Aix-en-Provence. Seit 2009 universitäre Lehrbeauftragte und eigene kuratorische und wissenschaftliche Projekte, u. a. zur Frage des „Interviews als künstlerische Praxis“. Curatorial Fellow der documenta14, Mitarbeit im Team der Diagonale – Festival des österreichischen Films; derzeit Chefredakteurin des steirischen herbst.

 

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