TQW Magazin
Johanna Figl über Rakete 2 - Mohamed Toukabri, Karin Pauer und Sophia Süßmilch

The other Side of the unknown

 

The other Side of the unknown

Raketenstart „numero due“ bugsiert eine*n in neue Galaxien; zu Familien, Müttern und Kindern, Zwischenpositionen, Zukunftsvisionen und Performance-Artists. Auf zum Trip – „friendly vibes“ tragen mich ins Studio 2.

„When I was a little kid, my dream and the dream of many friends was to have the chance to travel one day, to experience what it meant to cross the sea by boat or the sky by plane. We were simply curious to discover what was happening on the other side of the ‚unknown‘.“ I feel with you, Mohamed.

Wie bereits beim ersten Rakete-Wochenende steht mit dem Tunesier Mohamed Toukabri erneut ein*e Künstler*in aus einem vorrangig muslimisch geprägten Land auf der Bühne des Studio 2, was ich deshalb erwähnenswert finde, weil a) Mohamed es selbst zum Thema seiner Performance macht und b) auf Wiens Bühnen generell noch Luft nach oben ist, was die Präsenz von Diversität und kultureller Vielfalt angeht. Also eine Einladung zu Rakete, die Hoffnung macht. In der Performance The Upside Down Man beschreibt Toukabri, wie er zu diesem „kopfstehenden Mann“ – zum B-Boy – wurde. In mehreren Kapiteln führt er uns zu seiner Familie und zu seinem Leben zwischen Tunis und Belgien. „Crossing the sea by boat“ reicht aus, um mich an die vielen Menschen denken zu lassen, die versuchen oder versucht haben, über das Mittelmeer nach Europa in ein sichereres, besseres Leben zu gelangen. Für einen Moment blitzen bei mir Bilder vom Scheitern dieser Reisen auf. Liegt wohl an der Blase, in der ich mich bewege. Mohamed jedenfalls macht dies höchstens indirekt zum Thema. Es ist aber auch nicht Teil seiner persönlichen Geschichte. Um die geht es hier nämlich, und diese nimmt er sehr wohl zum Anlass, seine Erfahrungen mit Rassismus und Antiislamismus auf die Bühne zu bringen. Das macht er mit so viel Wärme und „positive energy“, dass es auch kaum wehtut. In Videos erscheinen der zu „Billie Jean“ im Wohnzimmer tanzende Vater („Ist das ein typischer Araber?“) und die Mutter, die in ihrer Haushaltsführung Meditatives erkennt (her mit dem Rezept!) und auch sonst einen positiven, klugen Blick auf das Leben zu haben scheint: „The day I left home travelling to Europe for the first time my mother whispered in my ear saying: ‚Where you’re going now things may seem different from what you’re used to. Don’t be scared, give it time and try to understand the differences, because in and within these differences a big part of yourself is hiding.‘“ (Große Liebe meinerseits für diesen Rat.) Auch Wien wird erwähnt: „When I arrived at the Viennese train station …“, und ich habe böse Vorahnungen (Vorurteile?), auch die Besucherin im „Es ist wieder Donnerstag“-Sweater neben mir schnauft schon mal in leidvoller Voraussicht, und ZACK!, da ist es auch schon – Ausweiskontrolle, „racial profiling“, was, aus Belgien? Wie geht das? Mohamed und Belgier, hä? Fremdschämen, fremdentschuldigen … Eine Frage, die mich seit Beginn beschäftigt, taucht noch mal klarer auf: Will Mohamed, der Künstler Mohamed, tatsächlich darüber ein Stück machen oder „muss“ er das? Fühlt er die Notwendigkeit, eine Stellvertreter*innenposition einzunehmen, ein Sprachrohr zu sein? Oder würde er eigentlich viel lieber einfach ein Stück „über Linien und Punkte“ machen? Würde das wer von ihm sehen wollen? Ist dieses Feld nicht anderen vorbehalten, während er uns ein bisschen was über das Leben als Moslem vermitteln soll? Wem unterstelle ich da gerade was, und wie lange noch? Mohamed. Mohamed. Mohamed. Ein Name, den er immer mit Freude getragen hat, wird in Europa zum Stigma. Damals war Mohamed gleichgesetzt mit Freundlichkeit, Vertrauen, Zartheit, Unterstützung, Großzügigkeit … In Europa heißt sein Name übersetzt aber: Intoleranz, Jihad, IS, Gemetzel, Bomben, Terrorismus, Tod. Äußerlich sieht man ihm „den Araber“ nicht gleich an, stellt er fest. Na so ein Glück aber auch! Sobald jedoch der Name ins Spiel kommt, denkt man in Europa nicht mehr an Liebe, sondern an Krieg.

Toukabri fühlt sich dennoch überall zu Hause, mag die Zwischenwelt, in der er sich befindet. „Isn’t it like being a bridge? Between the promises of spring and the focus of fall?“ Das Publikum hat Glück, das Thema hätte viel härter verhandelt werden können, noch stärker hätte man sich den eigenen Vorurteilen stellen können. Mohamed zeigt kaum Wut, keine Spur von Bitterkeit. Ein beeindruckend leiwand gedrehter abschließender Headspin im Diskokugelflackern verdeutlicht noch einmal die „The world keeps on turning, make the best out of it“-Attitude Toukabris. Und ich nehme sie ihm ab.

Und weiter geht’s, apropos „world“, in den Kosmos, in Galaxien, in Zukunftsszenarien, mit Atomen, Amöben, Aliens (oder ist das wieder nur „in my head“?) und vielen poetischen, schlauen Fragen zum Herzschlag-Beat. „Would you rather be time or space?“ Mittlerweile kann ich das beantworten … „space“! „Is the cosmos all there is, was, will be?“ Ich glaube nicht. „Shall I have a baby or save the world?“ Also im Idealfall das Baby bekommen, das die Welt rettet. Ich kann ja Karin Pauer stundenlang zuschauen: ihren Moves, dem leicht trotzigen Blick, ich oute mich hier als Pauer-Fan (darf ich das?). Ich mag diese Gedankengänge. Agnieszka Dmochowska als Bühnenpartnerin ist eine Bereicherung. Auch Pauer holt ihre Mutter auf die Bühne, im Gegensatz zu Toukabri allerdings sogar in echt. „Are you my next shape?“ – „Aren’t you mine?“ In The next five hundred thousand years of movement setzt Karin Pauer ihre Forschung über den Kosmos und den Platz des Menschen darin zu coolem Soundscape fort. „Will future species share our obsessions; will they also constantly trouble themselves with questions about the future?“ Ich tauche ein in die Pauer-Galaxie und lasse mich treiben, bis mich Brian Eno und John Cale abrupt da rausholen. Ja, sorry, die letzte Szene verwirrt mich doch etwas, und mir entkommt ein ernst gemeintes „Ist das ernst gemeint?“ Richtung Frau mit dem „do!“-Sweater. Sie mag’s sichtlich sehr. Ich bin von der Ironie der Taschenlampenchoreo zu „Spinning Away“ bis heute nicht ganz überzeugt. Aber Kitsch versüßt das Leben und tut also wieder gut. So gut, dass ich mir den Song gleich runtergeladen habe (bitte, ich habe ihn bezahlt!) und Karin und Agnieszka so vor meinem geistigen Auge weiterleuchten.

Nach ein paar Dosen Raketen-Sprudel bietet das so feine Minifestival dann noch eine gute Dosis absurden Humors. Sophia Süßmilch führt den Kunstbetrieb ad absurdum und zieht dessen Anspruch in If you think you are a performance artist but you’re really just a meme durch den Kakao. Ein Bund Karotten, eine Peitsche, Kindersessel und Partyhütchen wecken Erwartungen, die für mich übertroffen werden. In – wenn ich vor lauter Schauen nicht übersehen habe, eines aufzuschreiben – elf Bildern deckt sie auf, wie das so aussieht: 
If you think you are a performance artist but you’re really … just a meme … just not the one … just a painter … just a fan … just a motherless child … just a woman artist … just a feminist … just a dancer … just a theorist … just a product of your environment … just an entertainer. Unter den acht Performer*innen ist auch bei Süßmilch die eigene Mutter zu finden, erfahre ich später vom Artist Video der TQW-Website. Sie muss dann wohl das „motherless child“ gewesen sein, das an Sophias Brust getrunken hat. Sophias erfrischende Selbstironie dürfte scheinbar auch ihrer Mutter nicht fern sein. Beide würde ich gerne bald wiedersehen.

(Wieder) ein gelungener Abend bei Rakete, spannende Künstler*innen, interessante female voices und discoveries on the other side of the „unknown“. Meine Frage ans Leben bleibt, ob Mohamed Förderungen bekommen hätte, hätte er ein Stück über Galaxien machen wollen. Aber noch scheint es (leider) wichtig zu sein, dass er eben Brücken baut. Und auch am zweiten Wochenende gab es wieder zu wenige Plätze für erfreulicherweise zuviele Interessierte. Wenn ich mir was wünschen darf, dann doch noch einen dritten Spielabend pro Wochenende dazu. Das große Potenzial und die feine Kuratierung von Rakete haben sich zum Glück scheinbar rumgesprochen. Und weil’s gerade im Hintergrund läuft: „One by one, all the stars appear, as the great winds of the planet spiral in spinning away, like the night sky at Arles, in the million insect storm, the constellations form“ (Brian Eno & John Cale).

 

Johanna Figl hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert, war jahrelang künstlerische Leiterin und Produzentin von Szene Bunte Wähne, war bei ImPulsTanz in der Öffentlichkeitsarbeit tätig und hat gerade ihr Diplom in psychosomatischer Kinesiologie erhalten. Vorrangig ist sie Dramaturgin im Tanz- und Performancebereich sowohl für ein junges als auch für ein erwachsenes Publikum. Dabei fokussiert sie auf gesellschaftspolitische Themen, Diversität, Feminismus und Interkulturalität. Ihr aktuelles Projekt „Under Cover“ mit der iranischen Choreografin Ulduz Ahmadzadeh feierte im Mai bei Rakete Premiere. Mit dem Self-Empowerment-Workshop „Power Animals“ für Kids ab acht Jahren ist sie im Sommer als Dozentin bei ImPulsTanz zu Gast.

 

 

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