TQW Magazin
Ana Vujanović über Dub Soirée von Alix Eynaudi & Frans Poelstra (u. a.)

Traces of intelligent aliens

 

Traces of intelligent aliens

Am 25. Mai 2018 besuchte ich Dub Soirée, ein Showing des Forschungslabors unreal time composition über das Thema Improvisation von Alix Eynaudi und Frans Poelstra, mit den Beteiligten Claire Lefèvre, Karine Blanche, Alex Bailey und Mzamo Nondlwana.

Improvisation wird im Allgemeinen als zwangloses Format begriffen, in dem es – wenn es sich um eine öffentliche Vorstellung und nicht um eine Jam-Session handelt – dem Publikum leichtfällt, einen Platz für sich zu finden, um Virtuosität, Verspieltheit und Kreativität der Künstler_innen zu genießen. Demnach handelt es sich um ein kommunikatives Format. Wenn wir schon bei Kommunikation sind – in einem PR-Text über das Labor habe ich das prägnante und einladende Künstler_innenstatement gefunden: „Wir sind alle Experten, wenn es um Freundschaft geht. Wir alle wissen, wie man tanzt.“ Da sie sich vor dem Labor noch nicht kannten, haben sie diese zwei Praktiken als sie alle verbindend verstanden. Mein erster Gedanke war, dass sie dadurch ebenso sehr eine gute Verbindung zum Publikum herstellen, denn in mancherlei Hinsicht sind wir alle Expert_innen, sobald es um Freundschaft geht, und wir alle wissen auch, wie man tanzt. Auch wir sind nachlässig, wenn es um ein Sichanfreunden oder um das Tanzen geht. Auch wir haben einige peinliche Erinnerungen an gewisse Freund_innen und Tanzgelegenheiten. Somit können wir uns alle leicht damit identifizieren.

All dies versprach ein verheißungsvoller Ausgangspunkt für jene zu sein, die sich an jenem Freitag im TQW trafen.

Doch in dem Moment, da ich die Studios, in denen die Präsentation stattfand, betreten hatte, wurde mir klar, dass sich eine Auseinandersetzung mit dem Kosmos der Künstler_innen als kein leichtes Unterfangen erweisen würde.

Während ich mir zwischen den Anhäufungen von persönlichen Gegenständen, Büchern, Koffern, Haushaltsgeräten, Notizbüchern, Flaschen, Bürsten und anderen im Raum verstreuten Gegenständen einen Weg bahnte, versuchte ich verbissen, schlau daraus zu werden. Sie in eine Geschichte einzubinden. Sie als Konsequenz von etwas zu verstehen. Ihren symbolischen Wert zu erkennen. Die Metaphorik zu verstehen. Sie zu mir sprechen zu lassen. Doch vergeblich. Stück für Stück scheiterten diese Versuche und ich sah mich umgeben von etwas, das nach Spuren intelligenter Aliens aussah. Ich war erleichtert. Dies waren undurchsichtige Dinge, und das war okay. Da es sich um eine Tanzvorstellung und nicht um ein Naturschauspiel handelte, steckte jedoch eine Intelligenz hinter diesem Setting. Eine größere Frage nahm in meinen Gedanken Gestalt an: Wenn wir den Sinn der Dinge nicht erkennen – und sie dadurch in Objekte übersetzen –, bedeutet dies, dass sie keine Bedeutung haben oder dass sie von einer Intelligenz zeugen, die uns fremd ist? Im Zeitalter des späten Anthropozäns, da sich die Handlungen der Menschen schädlich auf die Umwelt auswirken, wäre es ratsam, den Dingen ihren eigenen Lauf zu lassen. Doch anscheinend ist das schwierig. Mir kommt es auch so vor, als wäre es einfacher, die Dinge vor uns zu schützen, indem wir dem Gedanken Ausdruck verleihen, dass in den Dingen eine fremde Intelligenz herrscht – und sei es nur aus dem Grund, dass wir von ihnen abhängig sind.

Interessanterweise verhielten sich die Performer_innen ähnlich den Dingen. Sie kleideten sich in kuriose Klamotten und tauschten diese auch untereinander – farbenfrohe Pyjamas, Sporttrikots, geschlechterspezifische Kleidung, die sie ungeachtet ihres eigenen Geschlechts trugen –, aber sie klärten uns nie über den Grund ihrer Kleiderwahl auf. Sie sangen und spielten Musik, ließen uns an kleinen Fläschchen riechen und hantierten mit an Alchemie erinnernder Ausrüstung wie Kupfertöpfen und Pfeifen. Sie erzählten Geschichten aus ihrem Leben und teilten mit uns ihre emotionalen Tiefen … vielleicht waren es aber auch die Probleme anderer. Manchmal bewegten sie sich zwischen den beiden Studios hin und her, und große Teile des Publikums folgten ihnen. Doch es war unklar, warum manche Handlungen im einen Raum und manche im anderen stattfanden. Insgesamt erschienen mir die Aliens bis zum Schluss als etwas Fremdes; was mich dazu brachte, die Bedeutung von Freundschaft, Teilen, Gemeinsamkeit und meinem eigenen Vorhandensein in dieser Szenerie einer vermeintlichen re(s)publica zu hinterfragen – eine demokratische „agora“ (republica) und eine öffentliche Sache (res publica).

Als ich anfing, diese kurze Reflexion niederzuschreiben, die eine größere Leser_innenschaft erreichen sollte, wurde mir klar, dass ich zumindest die wesentlichen Bezüge ansprechen müsste, die unter der undurchsichtigen Oberfläche dieser Performance am Werk sind. Mir scheint, dass der Kontext des Teachback-Projekts hier eine wichtige Rolle spielt, da er den Künstler_innen künstlerisch-pädagogische Mittel wie den „Oracle Dance“ bereitstellt, mit dem sie Material entwickeln.[1] Der andere und vielleicht wichtigste Bezug, der auch im Titel anklingt, ist João Fiadeiros choreografische Arbeitsweise Real Time Composition. An sich ist diese schon komplex. Aber darüber hinaus kommentiert die Performance diese noch; möglicherweise hinterfragt sie die Wirklichkeit der Zeit, in der in einer performativen Situation Begegnungen mit Zeit, Raum, Publikum, Dingen etc. passieren.[2] Ich bin mir nicht sicher, ob ich selbst auf diese gedankliche Verbindung gestoßen wäre, aber ich bin überzeugt, dass keine_r der unkundigen Zuseher_ innen für sich selbst eine Möglichkeit dazu sah – einfach weil es gewisse fachspezifische Ebenen gibt, ein dichtes Netz theoretischer und künstlerischer Bezüge, eine lange Geschichte und Genese von tanzbezogenen Fragestellungen, die alle in dieser simplen und verspielten Präsentation gegenwärtig sind. Eine Präsentation, die sich jedoch eigentlich verpflichtet hatte, vertraute Themen wie Freundschaft, Improvisation und Tanz anzusprechen.

Deswegen fällt es mir schwer, diese Reflexion vielsagender zu gestalten, als sie gerade ist. Natürlich kann ich sagen: Sie als Unkundige brauchen nicht alles zu verstehen, Sie müssen nicht verstehen, es ist okay, einfach hier zu stehen und sich einer neuen Erfahrung zu öffnen. Oh, das ist schon wieder eine fachkundige Anspielung auf Fiadeiros Poetik … vielleicht also nicht der beste Rat an dieser Stelle. Außerdem würde es mich davon abhalten, das Folgende zu sagen:

Zeitgenössischer Tanz ist üblicherweise nicht leicht verständlich. Gemeinhin besitzt er keine Attraktivität für ein größeres Publikum; er scheint es nicht anders zu wollen, oder vielleicht soll er es genau so wollen. Häufig wird er vor fachkundigem Publikum präsentiert: Künstler_innen, Theoretiker_ innen, Kurator_innen und Kunststudent_ innen. Deswegen sind die Ticketeinnahmen wohl ständig in den roten Zahlen. Und deswegen läuft er wohl auch ständig Gefahr, von neoliberaler Kulturpolitik abgeschafft zu werden. Zeitgenössischer Tanz ist experimentell. Manchmal ist er deswegen erfolglos, oft unzugänglich und unverständlich. Um das zu kaschieren, versucht er teilweise, humorvoll zu sein. Zeitgenössischer Tanz tendiert dazu, komplex zu sein, weil er sich mit ernstzunehmenden Problemen auseinandersetzt – Tanzproblemen. Doch Tanz an sich wird nicht ernst genug genommen, um zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit seinen Problemen einzuladen. TMI! Dennoch muss sich zeitgenössischer Tanz darauf einlassen, da er nur in der Begegnung mit Publikum, auf einer Bühne als re(s)publica existiert.

Das ist das größte Paradoxon, dem ich bei unreal time composition begegnet bin. An dieser Stelle entscheide ich mich also eher dafür, dieses den Leser_innen ungeschminkt zu präsentieren, als mich eines rhetorischen „Sie brauchen es ohnehin nicht zu verstehen“ zu bedienen. Sie sollten darüber Bescheid wissen. Nicht nur um dieser Vorstellung willen; jenes Paradox schwebt wie ein Geist über der zeitgenössischen Performance, einer verzweifelten Kunst, einer Kunst, die nur lebt, wenn wir sie mit und in uns leben lassen. Wie ein Virus. Oder eben ein Freund.

 

Ana Vujanović ist als freie Kulturarbeiterin – Wissenschafterin, Autorin, Dramaturgin und Aktivistin – auf dem Gebiet der zeitgenössischen darstellenden Künste und der Kultur tätig und Chefredakteurin von TkH – Journal for Performing Arts Theory. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit stellt die Förderung der unabhängigen Szene in Belgrad und im ehemaligen Jugoslawien dar. Sie hat an verschiedenen Universitäten und Studienprogrammen in mehreren europäischen Ländern unterrichtet, war Gastprofessorin für Performance Studies an der Universität Hamburg und ist aktuell Dozentin am HZT Berlin. Ana Vujanović wirkt als Dramaturgin und Koautorin an künstlerischen Projekten in den Bereichen Performance, Theater, Tanz und Video/Film mit und hat zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden sowie vier Bücher veröffentlicht. Gegenwärtig betreibt sie mit Bojana Cvejić und Marta Popivoda das unabhängige Forschungsprojekt Performing the Self in the 21st Century. anavujanovic.net

 

Alle Beiträge im TQW Magazin

 

[1] Es wird im Programmheft erwähnt, doch ich bin mir nicht sicher, was es ist. Genauso wenig habe ich online eine Erklärung gefunden oder Zeit gehabt, Alice Chauchat und Jennifer Lacey, die Mitbegründerinnen von Teachback, zu kontaktieren. Über das Projekt selbst kann man hier Weiteres lesen.

[2] Ich wurde von Christina Gillinger, die an einigen der Lab-Sessions teilgenommen hat, darüber in Kenntnis gesetzt. Ein sehr informatives Interview mit Fiadeiro finden Sie hier.

 

 

 
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