TQW Magazin
Frédéric Pouillaude über Zeppelin Bend von Katerina Andreou

Zwei Seile

 

Zwei Seile

Zwei Seile hängen senkrecht von der Decke herab, als Bindeglieder zwischen einem technischen Himmel aus Metallgittern und Scheinwerfern und einem schwarz-weiß gemusterten Boden. Ist ein senkrecht hängendes Seil für den Aufstieg oder den Abstieg gemacht? Um „high“ zu werden oder um „geerdet“ zu bleiben? Weisen die Seile einen Weg in den Himmel oder dienen sie der Beschwerung, indem sie unbekannte Flugobjekte auf der Erde verankern? Wo sind die bunten heliumgefüllten Luftballons aus dem Vergnügungspark, die unsere Schwerkraft benötigen, um nicht verloren zu gehen? Wo ist der paradiesische Zeppelin, in den wir einsteigen und mit dem wir davonfliegen können?

Zeppelin Bend arbeitet konsequent mit der widersprüchlichen Anordnung, die von den senkrecht hängenden Seilen suggeriert wird: „high“ zu werden bzw. „geerdet“ zu bleiben. Das Stück experimentiert mit Kombinationen, um beides zu erreichen; teilweise abwechselnd, manchmal aber auch gleichzeitig. Es ist nicht empfehlenswert, solch riskante Experimente allein durchzuführen. Deshalb ist Zeppelin Bend ein Duett, das eine verknüpfte und unvorhergesehene Zusammenarbeit zweier Tänzerinnen offenbart, eine besondere Art von Knoten, der zwei Körper miteinander verbindet: einen Zeppelinstek (engl. „zeppelin bend“). Abgesehen von den Seilen und den Tänzerinnen bedarf es noch zweier weiterer Requisiten, weder oben noch unten, irgendwo dazwischen und etwas erhöht: einer 2-x-2-Meter-Plattform auf der Bühne vorn links und eines platten Reifens, der im hinteren Bereich der Bühne mittig von der Decke hängt.

Zeppelin Bend beginnt mit einer behutsam wiederholten Geste der Ablehnung. Mit geschlossenen Augen, resolut auf der Plattform sitzend schüttelt Tänzerin eins beharrlich ihren Kopf hin und her. Ihr Haar scheint sich in Hubschrauber-Rotorblätter zu verwandeln. Ein UFO, das „NEIN“ sagt: ein sanftes, stilles, gleichgültiges und unnachgiebiges „NEIN“, das auf seine Weise selbst ein Zurückweichen und einen Schwindel verursacht.

Tänzerin zwei kommt springend und hüpfend auf die Bühne. Tänzerin eins gesellt sich zu ihr und übernimmt ihre Form der Bewegung. Das Herumgehüpfe wird zu einem engen Zusammenspiel. Tänzerin eins und Tänzerin zwei unterstützen sich durchgehend gegenseitig bei den ständigen Richtungswechseln und versuchen, trotz der schnellen Ausrichtungsänderungen ununterbrochen Blick- oder Handkontakt zu halten. Sie experimentieren mit einer neuen Form von Fußgänger*innenschwindel: der Erfahrung eines durch freiwillig herbeigeführte Desorientierung geschaffenen, sich bewegenden Raums in Kombination mit dem regelmäßigen Rhythmus der Auf- und Abwärtsbewegung des gemeinsamen Herumspringens.

Irgendwann setzt sehr schnelle Gabber-Musik ein, und Tänzerin zwei klettert auf die Plattform. Ihr Körper versucht, dem Rhythmus zu folgen, indem er mit hektischen Schritten gegen die Plattform hämmert. Tänzerin eins schließt sich Tänzerin zwei an, und wieder wird das Experiment zu einem Zusammenspiel, bei dem die eine Tänzerin die andere unterstützt und ihr zur Seite steht. Sie geraten in eine neue Form von Schwindel, einen Schwindel der Geschwindigkeit und der Ausdauer, von Dopamin und Durchhaltevermögen. Sie sind auf den Rausch einer unmöglichen Geschwindigkeit aus und flirten mit den Grenzen des Cardio-Trainings, knapp davor, in Ohnmacht zu fallen und das Bewusstsein zu verlieren.

Uns werden also drei Möglichkeiten präsentiert, auf dem Boden „high“ zu werden, in einen Rausch zu kommen, ohne Drogen zu nehmen: 1) beharrlich den Kopf hin- und herschütteln, 2) in einem fort in alle möglichen Richtungen hüpfen, 3) so schnell wie möglich von einem Bein aufs andere springen (bzw. so schnell, wie es die unmögliche Musik fordert). Diese Methoden erinnern an Roger Caillois’ „Ilinx-Spiele“, an Karusselle oder Schaukeln, nur dass sie hier ohne Requisiten oder Hilfsmittel auskommen.

Und wenn das Hauptrequisit verwendet wird, wenn die Tänzerinnen schließlich die Seile hinaufklettern und sich eine Zeit lang wie Koalas an ihnen festhalten, dann scheint es, als wäre das für sie der erste Moment der Ruhe in diesem Stück: das sanfte und sinnliche Hin-und-her-Schwingen, bei dem sie alles von oben betrachten. Aber leider kann so eine Wiege nicht ewig schaukeln. Einsamkeit und Melancholie kehren so schnell zurück und vergiften den von den Seilen skizzierten illusionären Himmel, dass die Tänzerinnen bald wieder hinunterklettern müssen. Zeppelin Bend ist also ein trügerisches Stück über die Nutzlosigkeit von Requisiten und das Nichtvorhandensein von „Hinterwelten“.

Und wenn am Ende, nach einem zweiten Durchgang von „Ilinx-Spielen“, der an den ersten erinnert, Tänzerin zwei allein unter dem schaukelnden Reifen hockt, der von der Decke hängt, kann sie nur noch um ihre abwesende Freundin weinen. Zeppelin Bend ist somit ein Stück über die Notwendigkeit von Freundschaft – einer Freundschaft, die durch Rauschzustände ohne den Einsatz von Drogen geht. Es zeigt uns einen Weg, die Welt abzulehnen, ohne allein zu sein.

 

Frédéric Pouillaude ist ausgebildeter Ballett- und zeitgenössischer Tänzer und studierte Philosophie an der École normale supérieure (Paris). Er ist seit über zehn Jahren außerordentlicher Professor für Philosophie an der Pariser Universität Sorbonne und aktuell ordentlicher Professor für Ästhetik an der Universität Aix-Marseille. Ausgewählte Veröffentlichungen: „Unworking Choreography: The Notion of the Work in Dance“ (New York 2017); „Représentations factuelles. Art et pratiques documentaires“ („Factual Representations: Art and Documentary Practices“) (Paris 2020).

 
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