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Martin Pieper über Dark Field Analysis von Jefta van Dinther

Von Blutrot zu Dunkelschwarz

 
Jefta van Dinther Dark Field Analysis

Von Blutrot zu Dunkelschwarz

Von Blutrot zu Dunkelschwarz: Jefta von Dinther lässt seine Tänzer im Dunkeln.

Zwei Songs von PJ Harvey liefern den musikalischen Puls für Jefta von Dinthers Tanzperformance Dark Field Analysis. Die britische Musikerin war nie darum verlegen, existenzielle Körpererfahrungen in Songs zu verwandeln, darin vielleicht eine Seelenverwandte des Choreografen. Eine solche Erfahrung, die titelgebende „Dark Field Analysis“, eine Methode der mikroskopischen Blutuntersuchung, war für van Dinther der Anstoß für diesen seltsamen Pas de deux zweier nackter Männerkörper. Vielleicht sind es aber auch mikroskopisch vergrößerte Blutkörperchen, denen wir – das Publikum – von allen vier Seiten des Spielraums aus zusehen können, genauso wie der Choreograf nach Eigenauskunft fasziniert seinem eigenen Blut unter dem Mikroskop dabei zugesehen hat, wie es lebt, sich bewegt und sich zersetzt. Das Bewegungsrepertoire der beiden Tänzer bleibt ähnlich fremd. Wie der Blick auf das eigene Blut. Die Bühne wird zur Petrischale. Je länger und genauer wir sie beobachten, umso mehr entgleitet uns allerdings die Fähigkeit zu verstehen. Die Lichtstimmung startet mit scharfem Rot und Blau, die Kombination erinnert an die Farben alter 3D-Brillen. Im Lauf der Performance verschattet sie sich unmerklich und führt schließlich in komplette Finsternis und damit den/die Betrachter_in in einen quasi privaten Raum, in dem es nur noch einen selbst und die zwei Performer gibt, die sich am Rande der Wahrnehmungsmöglichkeiten bewegen. Es ist, als würde man das Mikroskop von scharf auf unscharf stellen.

Wir träumen von Pferden

„Horses in my Dreams“ und „The Slow Drug“ heißen die beiden Songs von PJ Harvey, die vom Sounddesigner David Kiers für Dark Field Analysis bearbeitet wurden. Träume, Drogen und Langsamkeit sind auch Assoziationen zum Geschehen auf dem Spielfeld. Die beiden Tänzer und Performer Juan Pablo Cámara und Roger Sala Reyner bewegen sich fast die gesamte Spielzeit über ganz nah am Boden, erdenschwer. Sie sitzen da wie Puppen ohne Kleider, ihre Gliedmaßen scheinen nicht ganz zu ihnen zu gehören. Der Arm macht, was er will. Die beiden Tänzer betrachten das mit Staunen an sich selbst und manchmal auch am Gegenüber. Bewegungen werden zögernd geprobt, bleiben stecken oder versanden im Stillstand. Dass die nackten Körper sichtbar mit Technik, Mikrofon und Sender, markiert werden, rückt sie in die Nähe von Maschinenmenschen. „Träumen Androiden von Schafen?“, hat der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick gefragt. Hier träumen sie vielleicht von Pferden, vielleicht aber auch vom (Blut-) Körper des anderen. „Did you ever enter the body of someone else?“, lautet eine Zeile aus dem bruchstückhaften Dialog, den die beiden Tänzer führen. Antworten werden keine gegeben. Aber man spürt schon zu Beginn, dass dieser Zustand des Nebeneinanders nicht so bleiben wird. Dem kommen die Körper in die Quere, das Begehren, der andere zu sein, den anderen zu haben. Und je dunkler dieser Abend wird, desto mehr wird aneinander gezogen, geschliffen, geübt. Im Dunkel wird aus der Zeitlupe ein Zeitraffer, aus dem vorsichtigen Tasten ein sich selbst überholender rasender Bewegungsapparat. Der Traum wird zum Albtraum. Die Szene ist mit einem Bildeffekt des (japanischen) Horrorkinos verwandt, wenn das Monster ganz plötzlich mittels Schnitt vom Stillstand zur Höchstgeschwindigkeit, von der latenten Bedrohung zur unmittelbaren Gefahr wird. Bei Jefta von Dinther wird es im Halbdunkel des Bühnenraums in der Raum-Zeit-Erfahrung einer Liveperformance umgesetzt. Aber es gibt ein Erwachen aus diesem pechschwarzen, blutroten Traum. Im weißen Neonlicht des Danach reiben wir uns die Augen. War da was?

Den Kopf in schwarzen Wolken

Haben wir Träumenden zugesehen, wie sie träumen, oder haben wir ihre Träume gesehen? Nach dem Ende der Verdunkelung staksen die beiden Darsteller durch das künstliche Licht. Es fühlt sich nach Afterhour an. Ihre ersten aufrechten Schritte sind unsicher. Und ganz am Ende gönnt uns Jefta van Dinther sogar noch das Bild eines utopischen Ausblicks. Ein Tänzer steht auf den Schultern des anderen. Sein Kopf verliert sich im Schwarz des künstlichen Bühnenhimmels. Kopflos geht es in zukünftige Dunkelheiten. Vielleicht ist es auch der Versuch eines Ausbruchs aus dieser strengen Bühnenkammer, eine Fluchtbewegung aus dem Zustand des ständigen Beobachtetwerdens. Das Blutkörperchen wird Körper. Mit ungewissem Ausgang.

 

Martin Pieper ist seit 2000 Chefredakteur von Radio FM4, dem ORF-Jugendkultursender. In seiner redaktionellen Tätigkeit setzt er sich auch immer wieder mit Tanz/Theater/Performance auseinander. Als Moderator ist er vor allem in der Wunschsendung FM4 Zimmerservice jeden zweiten Sonntagabend zu hören. Als DJ war er Teil des FMqueer-Veranstalter_ innenteams und legt auch jetzt noch gerne Lieblingsplatten für Lieblingsmenschen auf.

 

 

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