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Andrea Maurer über Yabba von María Jerez

Was man wahrnimmt, aber nicht weiß

 

Was man wahrnimmt, aber nicht weiß

Es ist ein paradoxes Unterfangen über YABBA zu schreiben, oder gar zu versuchen es zu beschreiben. Gleich beim ersten Anlauf einen Text zu verfassen, falle ich in eine Falte und gleite zwischen den Wörtern dahin. Falte um Falte befindet man sich zwischen den Sätzen, eingeschlossen, umhüllt von einem Dazwischen, an dem die Sprache, das Denken, immer wieder abgleitet, sobald man versucht es mit Worten festzumachen.

YABBA – der Titel dieser wundersamen Arbeit von María Jerez – ist ein Wort ohne Bedeutung. Es ist mehr Form als Name. Ein namenloser Name, um zu nennen, was nicht zu benennen ist.

Zwischen seinen zwei B´s lässt sich YABBA zu einer unregelmäßigen Falte falten. Mit der wortlosen Vehemenz seiner entfaltenden Spannkraft katapultiert YABBA die Anwesenden an einen Nichtort der Sprache.

Der Theaterraum ist ganz zurückgeworfen auf seine Räumlichkeit: dämmrige Höhle, halbdunkles Gemach, in dessen Inneres wir Publikums-Menschen hinein- bzw. hinuntersteigen. Es gibt kein Vorne und kein Hinten, kein Links, kein Rechts, nur ein Drumherum und ein durch die Schwerkraft bedingtes Oben und Unten. Sobald wir hineingestiegen sind, hat uns der Raum in sich aufgenommen: das Innere umhüllt uns mitsamt seinem Tönen.

Als Versammlung zweibeiniger Einzelner stehen wir rund um einEtwas‘ herum und blicken mit unseren Augenpaaren auf dieses jene Etwas‘: es liegt da, zu unseren Füßen, ausgebreitet oder herabgesunken: so etwas wie eine Landschaft oder ein See von Formen, die wir nicht (er)kennen.

Bedeckt von einem Stoff, dessen Falten und Furchen das Licht in diese oder eine andere Richtung werfen. Es gibt keine richtige Richtung, keine treffende Ansicht. Die Absicht ist ungewiss. Wir haben zwar Überblick, aber weder Einblick noch Durchblick.

Es knistert unterhalb der Oberfläche, manchmal knirscht es, während unsere Blicke aus uns heraustauchen, hinein in die endlos verlaufenden Windungen des Materials. Langsam aber bestimmt wird die oberste Schicht über die darunter liegenden Formationen hinweggezogen. Nein, sie wird nicht gezogen: sie saugt sich selbst in sich hinein: in eine Öffnung, die ein durstiges Maul sein könnte oder auch ein verwegenes Loch. Falte um Falte schwindet das Außen in sein eigenes Innen, um darunter weitere Schichten und Hüllen, weitere Krater und Wölbungen zu entfalten.

Dort und da atmet etwas. Woanders schwankt es, erhebt sich, zittert, pulsiert. Es bläht sich aus sich heraus auf, wächst riesenhaft in die Höhe. Wuchert. Andere Teile bewegen sich wie Überbleibsel von Maschinen, deren verborgenen Mechanismus man nicht zu entschlüsseln vermag. Ist das Ding ein Unding? Das Ding ist ein Unding. Ist es eins oder sind es viele? Gehören sie zusammen? Sind es Wesen, die ihr Unwesen treiben?

Als wären wir auf einer synkopischen Beatmungsstation für unbekannte Größen, die Leben in unsere inneren, heimlichen, imaginären Räume einhauchen. Die Blicke verausgaben sich, die Wahrnehmung gerät ins Straucheln. Zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren wird das Sehen und das Gesehene, das Denken und das Gedachte zu einer unzerteilbaren Suchbewegung: ‚Ich‘ – was ist das? Anhaltspunkte, keine.

Die Oberfläche, an der sich dieseIchs‘ zerstreuen, wird als Oberfläche ad absurdum geführt; sie ist alles andere als oberflächlich: tiefgründige, abgründige Oberfläche, an der sich die Blicke verheddern. Man möchte/könnte an einen gefalteten, zerfurchten Flatscreen denken, der sich nicht mit einem Finger wegwischen lässt, dessen Innereien endlich unter der glatten, unverbindlichen Oberfläche herausquillen und einem körperlich nahe rücken. Sogleich möchte man einen allgemeinen Aufruf zur Zerfurchung und Zerfaltung aller Benutzeroberflächen ausrufen. Als ob YABBA ein Manifest sein könnte. Ein Manifest für Umwege und Abzweigungen von der geraden Linie, für die Zerkräuselung von Zeit und planlose Streifzüge.

Widerständig in der Verweigerung einen eindeutigen Sinn zu liefern, durchwächst YABBA jeglichen Deutungsdrang und verformt einem die Wörter zu Blasen; zerplatzt das Fassungsvermögen unserer Sprachprothesen.

In seiner Fremdartigkeit verlangt YABBA ein Loslassen vom Festhalten. Kein Entweder-Oder. Keine beharrliche Trennung eines Innen/Außen, Mensch/Nicht-Mensch, Selbst/Nicht-Selbst. Sonst würden wir ja wie amputierte Archäolog*innen auf dieses ‚Etwas’ starren, ohne uns vom Fleck zu rühren, ohne irgendetwas zu ergründen. Wir bewegen uns aber: graben uns auch ohne Worte in die wandelbaren sich wandelnden Formationen. Wie Fremdlinge unter Fremdlingen wohnen wir in Vertrautheit einander bei, koexistieren, und üben in dieser Zusammenkunft des Dazwischen eine unbekannte Begegnung mit ohne Namen.

 

Andrea Maurer (geb. 1978 in Salzburg) lebt und arbeitet als bildende Künstlerin, Performerin und Choreografin in Wien. Sie behandelt und zerlegt in zumeist performativen und/oder installativen Formaten Zusammenhänge von Sprache, Wirklichkeit und Wahrnehmung. Maurer absolvierte ihr Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien. Ihre 2013 entstandene Arbeit Gesprächsgegenstände wurde mit dem Salzburger Landespreis für Medienkunst ausgezeichnet. Für die Performance SELBSTZERLEGUNG erhielt sie 2016 den H13 Preis für Performance des Kunstraum Niederösterreich. Im Herbst 2018 wurde ihr Stück If What Could Be Is How Why Not im Tanzquartier Wien präsentiert. Im Sommer 2019 werden die Installation Du bist nicht gerade in Anordnung plötzlich da in der Galerie 5020 sowie die Intervention Found Poems bei der Sommerszene in Salzburg zu sehen sein.

 

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