TQW Magazin
Sarah Tasha über S_P_I_T_ Tag 1: Storm / Raymond Liew Jin Pin

Welcome back, I love you!

 

Welcome back, I love you!

Es ist Ende Juni, also nicht nur Pride Month, sondern auch generell einer der ereignis- und arbeitsreichsten Monate im Wiener Kunst- und Kulturbetrieb. Die Leute sind müde, und es ist heiß. Das Festival S_P_I_T_ ist trotzdem ausverkauft.

Mit einer akademischen Viertelstunde Verspätung komme ich zum Meet-&-Greet-Teil des Eröffnungsabends und muss feststellen, dass sich noch niemand getraut hat, das Buffet anzutasten. Ich sage Buffet und meine damit eine überaus faszinierende und ästhetische Installation aus verschiedensten Geleekreationen. „Ist alles vegan“, versichert mir die Person auf der anderen Seite des Tisches – einer der Künstler hinter der Aspik-Extravaganza.

Ich koste mich durch Marillenkaviarkügelchen auf Risotto, Erbsenaufstrich mit Balsamicogelee und verschiedene eingelierte alkoholische Getränke, während ich das Eintrudeln der Besucher*innen beobachte.

Denise Kottlett, neben Lisa Holzinger eine der Organisatorinnen und Kuratorinnen des Festivals, ist in ihrem neongrünen Polyesterkleid nicht zu übersehen. Immer wieder steuern Gäste direkt auf sie zu und begrüßen sie. Man kennt sich hier.

„Welcome back, I love you!“, eröffnet Denise kurz darauf auf der Bühne des TQW Studios das Festival. We love you too, Denise!

Denises Moderation wirkt etwas improvisiert, aber herzlich. Sie spricht über das diesjährige Thema des Festivals „pleasure activism“, die Struggles queerer Personen, ihre Erfahrungen mit der Wiener Drag-Szene, dass es Jahr für Jahr schwieriger wird für uns und warum sie sich für dieses Festival einsetzt. Mit jedem Satz merkt man ihre aufrichtige Liebe und Begeisterung für alle beteiligten Akteur*innen. Dann fügt Denise noch ein obligatorisches „Thank you to MA 7“ hinzu, bevor sie die erste Show des Abends ankündigt.

Storm, Dragqueen und fixer Bestandteil der Wiener Szene, ist ready. In „full glam“ betritt sie die Bühne, nimmt das Mikrofon und setzt die Konversation über queere Lebensrealitäten fort. Storm lässt es sich – berechtigterweise – nicht nehmen, den von ihr erlebten Rassismus in der Wiener Queer-Community zu kritisieren, und kommt mit einem „Maybe it is ok to be me“ zum Abschluss ihres kurzen Monologs.

Anschließend lipsynct sie in gekonnter Verknüpfung von Eleganz und Energie einen Mariah-Carey-Song und bietet dem Publikum all die mitreißenden Emotionen einer exzellenten Drag-Performance. Slay! Storms Nummer in Kombination mit Denises ungezwungener Moderation würde in dieser Form genauso gut ins Programm eines Underground-Drag-Events passen, abseits des MuseumsQuartiers, versteckt irgendwo im Keller eines Irish Pub.

Nach dem Lipsync ist es Zeit für Mini Melt Down – eine Installation von Claire Lefèvre ein paar Räume weiter. Der „radically soft space“ lädt mit kuscheligen Sitzgelegenheiten, von der Decke hängenden Arbeiten der Textilkünstlerin Sophie Utikal und einer Soundscape von Zosia Hołubowska zum Runterkommen und Sinnieren ein. Ich blättere durch The Body Keeps the Score, eines der Bücher, die thematisch passend bereitgestellt werden. Ist mir gerade doch irgendwie too much. Ich lege mich stattdessen lieber hin und überlege, ob ich in der Textilarbeit über mir eine Flamme oder einen Blutstropfen sehe. Nicht weit von mir lackieren sich zwei Personen bei der Beauty-Self-Care-Station ihre Nägel und unterhalten sich über ihre Jobs in der Kreativbranche – und drohendes Burnout: „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch machen kann … in dieser Intensität“, mischt sich die Klage einer der Personen mit der Soundscape. Zweck der Installation erfüllt.

Früher einmal, als naive*r erstsemestrige*r Kunststudent*in, habe ich geglaubt, dass man* es „geschafft“ hat, wenn man als Performance-Artist im MuseumsQuartier auftritt. Ohne über die genaue finanzielle Situation der beteiligten Künstler*innen und Organisator*innen Bescheid zu wissen, sagt mir mein Bauchgefühl, dass wohl die meisten entweder Dayjobs haben oder sich prekär von Projekt zu Projekt hangeln.

Die nächste Performance beginnt: Maria Cencaru – A Southeast Asian Cis-Sis Reunion.

Traditioneller und zeitgenössischer Tanz, persönliche Erzählungen, Neonlicht und Videoelemente sowie der Versuch meinerseits, die Referenzen, die gemacht werden, zu verstehen. Jetzt ärgere ich mich, dass ich den Folder zum Stück, der draußen bei der Kassa bereitliegt, nicht genommen habe.

„Stop looking!“, fährt eine Performerin das Publikum an. Ich fühle mich ertappt, als weiße Person, die total voyeuristisch einen zutiefst intimen Austausch über Queerness und Transidentität in südostasiatischen Ländern beobachtet. Ich gehe davon aus, dass dieses Gefühl von den Künstler*innen gewollt provoziert wird.

Wir werden aufgefordert, uns von unseren Plätzen zu erheben und einen Sitzkreis zu bilden. Publikumsbeteiligung. Es wird ein Spiel gespielt. Wer ist Maria? Die Darsteller*innen plaudern über ihr Leben.

Mehr Neonlicht, Ballroom, kritische Reflexion über den Militärdienst in Singapur und hypnotisierende Reizüberflutung. Applaus.

Die Darsteller*innen kommen wieder auf die Bühne, es werden Danksagungen gemacht, mehrere an dem Stück beteiligte Personen können aufgrund von laufenden Asylverfahren und/oder Einreiseschwierigkeiten nicht hier sein.

Ich nehme beim Rausgehen den Folder über das Stück mit: „I fear for my trans/queer siblings who are constantly resisting, I fear for what the country will become, I fear for my future […]. Sometimes I wish that Malaysia would recognise how the colonial past still shapes our society – in terms of queerness – how much erasure has been done and how much freedom we have lost“, wird Performerin Paula Pau darin zitiert.

Maria Cencaru – A Southeast Asian Cis-Sis Reunion bildet einen harten Kontrast zu Storms Drag-Lipsync. Hinter beidem stehen die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und der aktivistische Wunsch nach queerer Sichtbarkeit, wobei Maria Cencaru eindeutig für ein in zeitgenössischer Tanz-/Theaterbühnenperformance geschultes Publikum konzipiert ist. Oder: Man würde diese Performance definitiv nicht im Keller eines Irish Pub sehen.

Könnte das nicht eine Stärke von S_P_I_T_ sein: institutionell geprägte, komplex-konzeptuelle zeitgenössische Performancekunst mit der Leichtigkeit und dem Community-Feeling eines Underground-Queer-Events zu kombinieren?

Ich stehe im Stiegenhaus der TQW Studios und blicke aus dem Fenster auf die Menschen, die sich draußen vor der Tür an Drinks und den letzten Resten der Gelee-Buffet-Installation bedienen. Schon eher MuseumsQuartier-Publikum hier.

Welche Teile der queeren Community verliert man, wenn man sich auf die institutionelle Bühne begibt? Mir scheint, im Fall von S_P_I_T_ ist das eine organisatorische Frage, keine philosophische. Die Tickets sind rar und Wochen vorher ausverkauft. So bleibt dann wohl nicht mehr viel Möglichkeit, Personen außerhalb der institutionellen Performancekunst-Bubble zu erreichen.

Draußen begegne ich Storm wieder, mittlerweile „out of drag“. Ich gratuliere ihr zu ihrem Lipsync, und wir unterhalten uns über Performance-Gigs, Geld und das kommende Sommerloch. Ich gönne mir eine letzte Portion veganes Gin-Tonic-Jelly, direkt aus einer Austernschale geschlürft.

 

Sarah Tasha (geb. 1992 in Wien) arbeitet mit Performance, Fotografie, Video und Social Media zu Gender & Queerness und politisch-gesellschaftlichen Themen. Tasha hat an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Ashley Hans Scheirl studiert und ist Teil des queerfeministischen Kunst-&-Kultur-Kollektivs ContextCocktail.

 

 

 
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