„When I lost my home, I lost my voice.“ – Jennifer
Wie fühlt es sich an, kein Zuhause, keine eigenen vier Wände zu haben? Was macht es mit mir, wenn ich mich in die Abhängigkeit von anderen: Freund*innen, Bekannten, begebe oder gar Zweckpartnerschaften eingehen muss, um ein Dach über dem Kopf zu haben? Wie kann ich meine Menschenwürde, meine Selbstbestimmtheit bewahren, wenn ich auf die Hilfe Dritter angewiesen bin?
Mit ganz viel Empathie und Feingefühl hat sich die Choreografin Doris Uhlich in ihrer aktuellen Inszenierung GAP diesen Fragen angenähert und gemeinsam mit den sechs Protagonist*innen, die ihr ihre Geschichten anvertraut haben, eine anmutige, bewegende, vom Publikum umjubelte Performance zum Thema Wohnungslosigkeit geschaffen.
Doris Uhlich stellt sich gern neuen Herausforderungen. Sie interessiert sich für unkonventionelle Biografien und hat den Mut, sich mit unbequemen Themen auseinanderzusetzen und diesen eine Bühne zu geben. Sie hat die Gabe, Geschichten von Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, unprätentiös und einfühlsam in Szene zu setzen. Dabei kommen Körpersprache, Sound, transparente, aufblasbare Bühnenobjekte – Quader, Kegel, Zylinder, die an Häuser, Räume und Landschaften erinnern –, aber auch die Stimmen der Betroffenen zum Einsatz.
Die Idee zu dieser Performance geht auf ein TQW-Vermittlungsprojekt namens Halle G wie Gudrun zurück, das bereits vor einem Jahr großes Interesse in der Tanz-Community weckte. An sechs Nachmittagen kamen an Bewegung interessierte Menschen von Augustin, Obdach Forum und integration wien mit Doris Uhlich und DJ Boris Kopeinig zusammen, um sich auf eine gemeinsame Entdeckungsreise zu begeben, die bei einem Workshop-Showing in der Halle G einen würdigen Abschluss fand.
Doch wie kam es überhaupt zu dieser Zusammenarbeit, zu dieser Begegnung mit ganz unterschiedlichen Menschen? Ein simpler Aufruf, eine wohlwollende Einladung per E-Mail reichen oftmals nicht, um Menschen, für die kulturelle Teilhabe nicht selbstverständlich ist, zu motivieren, sich auf ein solches Experiment einzulassen und mitzumachen. Projekte dieser Art setzen voraus, dass das Interesse aufrichtig und ernst gemeint ist. Und es braucht einen langen Atem.
Das Tanzquartier Wien pflegt bereits seit vielen Jahren partnerschaftliche Beziehungen zu ausgewählten sozialen Einrichtungen, und es ist schön zu wissen, dass die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur mit der 2009 initiierten Projektreihe Kultur-Transfair dazu beigetragen hat. In diesem Rahmen wurde der Kontakt zu Obdach Forum und zu integration wien gelegt, und daraus entstanden Kooperationen, die nach wie vor bestehen und heute die Basis bilden, um dem hehren Wunsch nach mehr Inklusion auf allen Ebenen Rechnung zu tragen. Aber für solche Prozesse braucht es Zeit, personelle und finanzielle Ressourcen und vor allem viel Offenheit und Herzblut. Es ist engagierten Mitarbeiterinnen wie Christina Gillinger und Theresa Rauter zu verdanken, dass sich das Tanzquartier Wien hin zu neuen sozialen Feldern geöffnet hat und seither die Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen forciert.
„Ich bin durchsichtig.“ „Seht ihr mich oder seht ihr mich nicht …“ Wohnungslosigkeit – ein Schicksal, das viele von uns nicht bemerken? Doris Uhlich ist es auf gefühlvolle Art und Weise gelungen, das Problem sichtbar zu machen und den Betroffenen Gehör zu verschaffen.
Monika Wagner, Studium der Kultur- und Sozialanthropologie, von 2001-2007 im Bereich Marketing, Kommunikation, Kartenvertrieb am Schauspielhaus Wien tätig. Seit 2007 Geschäftsführung der Aktion Hunger auf Kunst und Kultur.