Wo dein Schmerz sich aufgehoben fühlen kann
Ich lache, und dann fange ich an zu weinen, wenn ich über mich nachdenke.
Als Teenager*in habe ich bis tief in die Nacht Stunden damit verbracht, im Internet nach Zerstreuung zu suchen. Diese Zerstreuung konnte die unterschiedlichsten Formen annehmen. „Slice of Life“-Anime. Lily Allens umfangreiche Diskografie. Papa’s Pizzeria in ihren tausend Varianten. Walkthroughs für Pokémon Saphir. Zerstreuung, um nicht über all die neuen Dinge nachzudenken, die ich über mich und die Welt um mich herum herausfand.
Warum denke ich immer wieder an Mädchen? Das ist nicht in Ordnung.
Warum hat die Polizei diesen Mann getötet? Er hatte die Hände über dem Kopf. Er war unbewaffnet. Was, wenn das meinen Brüdern passiert?
Werde ich abnehmen, wenn ich Vegetarier*in werde?
Um diesen Gedanken Einhalt zu bieten, starrte ich auf den leuchtenden Bildschirm, bis ich einschlief.
Ich machte eine Pause, ruhte mich aus, und am nächsten Abend begann das Ganze wieder von vorn.
Die Zerstreuung reichte nicht immer aus, manchmal wurde ich so von Gefühlen überwältigt, dass mein Körper in Panik geriet. Schweiß tropfte mir von der Stirn, während ich in mein Kissen schrie. Manchmal musste ich mich zwicken, um in die Realität zurückzufinden. Mir war klar, dass es nicht geduldet werden würde, wenn die Auswirkungen, die diese Gedanken auf meinen Körper hatten, ersichtlich wären. Ich wusste, dass es unverzeihlich wäre, meine Schmerzen offen zu zeigen.
Als ich älter wurde, wurde es immer offensichtlicher für mich: Die Gesellschaft will deine Schmerzen nicht sehen. Du sollst sie mit den Menschen teilen, die dir am nächsten stehen, und manchmal ist selbst das zu viel. Und das, obwohl deine Schmerzen als Erwachsene*r sogar noch schlimmer werden.
Gedanken strömen weiterhin durch mein Gehirn, und es sieht nicht so aus, als würde das jemals aufhören.
Will ich in diesem Beruf bleiben? Aber wie bezahle ich dann meine Rechnungen?
Wird mein*e Endokrinolog*in mir glauben, wenn ich von meinen Nervenschmerzen erzähle? Ich fühle mich so abgehetzt.
Systemischer Rassismus bringt uns um.
Der Kapitalismus wird der Nagel zum Sarg sein.
Aber anstatt den Gedanken Raum zu geben, finde ich weiterhin Trost in Zerstreuung.
Spiele immer und immer wieder Songs von Tyler, the Creator. Binge trashige Reality-TV-Shows auf Netflix. Spiele Tetris Battle 2P online. Damit ich nicht über die neuen Dinge nachdenken muss, die ich über mich und die Welt um mich herum herausfinde.
Aber dem Körper kann nur ein gewisses Maß an Schmerz zugemutet werden.
Manchmal frage ich mich, wie viel Schmerz ich ertragen kann.
Wann wird das mit der Zerstreuung nicht mehr funktionieren?
Wann werde ich mich meinen Schmerzen stellen müssen?
Wenn ich meine Schmerzen nicht ertragen kann, wer wird sie mit mir ertragen?
Kann ich mich revanchieren?
Wie kann ich die Schmerzen von anderen auf mich nehmen?
Werde ich explodieren?
Wenn sich meine Schmerzen anfühlen, als würden sie unerträglich werden.
Wenn ich weiß, dass die Zerstreuung nicht mehr funktioniert.
Wenn der Schweiß kommt, die Schreie meine Lippen streicheln, die Tränen fließen.
Dann atme ich.
Ich erinnere mich daran, dass ich meine Schmerzen nicht allein tragen muss.
Meine Schmerzen werden von meinen Vorfahr*innen mitgetragen.
Wir wechseln uns ab und tragen gegenseitig unsere Schmerzen,
Indem wir lachen, schreien, weinen, einander mit Affirmationen stärken, umarmen und küssen.
Denn ich muss meine Schmerzen nicht allein tragen,
und ich fühle mich für die Schmerzen der Menschen in meinem Umfeld zuständig.
Hold yr ache 2 my ache schildert, wie dein Körper diese Schmerzen erlebt, wie die Systeme um uns herum Eskalationen in unseren Körpern erzeugen. Dass diese Gefühle nicht nur unsere Gedanken einnehmen, sondern durch unsere Adern fließen. Dass unsere Schmerzen in den Adern der Menschen aufflackern, die uns am nächsten stehen, dass wir unsere Schmerzen nicht allein tragen müssen. Es zeigt, was in uns allen steckt, und bringt unser Unbehagen darüber zum Ausdruck, mitzuerleben, was diese Schmerzen zum Vorschein bringen. Dieser Prozess spendet aber auch Trost, indem er uns vor Augen führt, dass wir nicht allein sind.
Ich lache, und dann fange ich an zu weinen, wenn ich über mich nachdenke.
Tayla Myree ist bildende*r Künstler*in, Kurator*in und Historiker*in aus Atlanta, Georgia (USA), und lebt in Wien. Ihn deren Arbeit beschäftigt dey sich anhand der Medien Film, Videoinstallation und Text mit Themen wie Identität, Erinnerungspolitik, öffentlicher Raum, Rassifizierung und Machtstrukturen. Dey hat einen Master in Vergleichender Geschichte von der Central European University und absolviert derzeit ein Studium im Fachbereich Video und Videoinstallation an der Akademie der bildenden Künste Wien.