TQW Magazin
Freda Fiala über Lolling and Rolling von Jaha Koo

Wie man Zungenbrecher ins Rollen bringt

 
offener Mund mit 4 Zähnen, 2 Finger darin, schwarz weiß

Wie man Zungenbrecher ins Rollen bringt

Bevor unsere Worte in die Welt gelangen, müssen sie erst die Zunge passieren. Dieser werden zu Recht vielfältige Begabungen zugesprochen: Sie kann sich spöttisch und provokativ aus dem Mund herausstrecken, sie kann küssen, sich verbrennen und bei jeder Regung schmerzen. Sie kann sich verknoten, und sogar das Herz kann sie tragen. Ihr selbstständig erscheinender Charakter sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie auch sie zu manipulativen Zwecken instrumentalisiert wird. Die Zunge und ihr Zungenbändchen, welches dieses hochbewegliche Organ im Mundraum gut befestigt hält, dienen als Ausgangspunkte für Jaha Koos performative Erzählung: Koo nimmt uns mit in die Erinnerung, wie ihm sein Freund und Lehrer Jack, den er als „jungen Menschen in einem alten Körper“ beschreibt, in Korea Englisch beibrachte. Schon zur Begrüßung bespielt er uns mit Werbevideos jener schimmernden Convenience-Pop-Kultur, für die der „Tigerstaat“ weltbekannt ist. Die angenehmen Oberflächen dieser Bilder lassen nichts von den Spannungen zwischen kultureller Homogenisierung und Heterogenisierung erahnen, die den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes prägten. Auf zwei Leinwänden begleiten diese virtuellen Räume Koos Erzählung, die die Wurzeln eines gegenwärtigen Phänomens mit imperialistischen, kolonialistischen und schließlich auch liberalistischen Machtansprüchen in Verbindung bringt.

Ganz im Stil eines „cool kid“ steht uns Koo an seinem DJ-Pult gegenüber. Überraschend erzählt er dann, dass er sich als Kind das Pult zum Englischlernen angeschafft hatte. Denn innerhalb der koreanischen Hochleistungsgesellschaft würden Kinder, die die englische Sprache perfekt beherrschen, als Statussymbole gelten. Nach außen zählen die Disziplin und die Effizienz der Koreaner*innen zu den Hauptgründen für den Erfolg der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. An seinem Pult spult Koo diese Geschichte für uns vor und zurück: Wir hören zunächst Ausschnitte von einer Kassette, mit der er als Junge Nachmittag für Nachmittag Englisch geübt hatte.

Die Erfahrungen im Erwerb der „Weltsprache“ werden dann vor dem Hintergrund der kulturellen Amerikanisierung Südkoreas erzählt: Nach Unterzeichnung des Taft-Katsura-Abkommens 1905 und der Zustimmung der USA, dass Japan Korea als Teil seiner „großostasiatischen Wohlstandssphäre“ okkupieren könne, wurde die koreanische Sprache offiziell durch die japanische ersetzt. Dieser historische Sprachverlust kehrte schließlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in abgewandelter Form wieder, als die USA ihre Kraft als militärische Befreiungsmacht auch symbolisch abgegolten wissen wollten. In den Worten des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson sollte Korea durch die amerikanische Unterstützung „aus der Asche aufsteigen“. Der Optimismus-Erguss der Pax Americana war damit erneut von Bestrebungen sprachlicher Assimilierung begleitet.

Hier leistet die Performance wertvolle Aufklärungsarbeit über ein groteskes Phänomen, das Englischlernende in Südkorea seitdem begleitet: Sollen Menschen zum Sprechen gebracht werden, versucht man, ihnen, im umgangssprachlichen Sinn, die Zunge zu „lösen“. Diese Redewendung steht in Zusammenhang mit dem Brauch, Neugeborenen nach der Geburt das Zungenbändchen, jenes fadenähnliche Gewebe, das die Zunge und den Mundraum verbindet, zu lösen. Im Volksglauben sollte das dem Erlernen des Sprechens zuträglich sein. In Korea wird dieser operative Eingriff jedoch an Menschen aller Altersgruppen durchgeführt. Er soll dazu dienen, ihre Aussprache perfektionieren und Wörter mit dem Buchstaben R „rollend“, und nicht „lollend“ von sich geben zu können. Um in der englischen Sprache möglichst „authentisch“ zu klingen, nehmen daher viele Koreaner*innen diesen körperlichen Übergriff in Kauf und lassen ihr Zungenbändchen operativ durchtrennen.

Nachdrücklich zeigt Koo an diesem Beispiel, dass die Vermittlung geschichtlicher Realität die Voraussetzung dafür ist, wie wir einander kulturell wahrnehmen. Es geht ihm um die Brüchigkeit eines Globalismus-Narrativs, das in Korea nach wie vor mit weltbürgerlicher Attitüde und Bereitschaft zur internationalen ökonomischen Zusammenarbeit in Verbindung gebracht wird. Zum Schluss trägt er ein Gedicht auf Koreanisch vor, das ihm einst von seinem mittlerweile verstorbenen Lehrer vermittelt wurde. Er spricht es in den fast dunklen Raum hinein, sodass wir noch deutlicher die Schönheit des poetischen Sprachklangs hören. In diesem konzentrierten Ende gibt er uns zu verstehen, dass es doch Formen sprachlicher Schönheit gibt, die uns nur die eigene(n) Muttersprache(n) zugänglich machen. Der Geschichte zum Trotz bleibt das Poetische ein Raum des Widerstands.

 

Freda Fiala hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie Sinologie in Wien, Berlin, Hongkong und Taipei studiert. Als Stipendiatin der ÖAW beschäftigt sie sich nun schreibend und forschend mit Theater- und Performancekulturen in Ostasien, interkulturellen Inszenierungsformen sowie den darstellenden Künsten als Mittel und Methode internationaler Kulturbeziehungen.

 
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