TQW Magazin
Mzamo Nondlwana über windows, doors, no hindsight von Philipp Gehmacher and Guests

Windows, doors and hindsight

 

Windows, doors and hindsight

Es war schon immer faszinierend, in die Black Box mit ihren vier Wänden und ihrem begrenzten Raum einzutreten. Sie schafft ein Gefühl der Entkopplung von der Realität und versetzt uns vorübergehend in eine andere Welt. Trotz ihrer Größe schafft es die Black Box, unsere Wahrnehmung zu beeinflussen und Erwartungen an das hervorzurufen, was sich in ihr offenbart.

In dieser speziellen Black Box ist die Bestuhlung unkonventionell und ähnelt einer verlassenen Lagerhalle. Beim Eintreten überkommt mich ein Gefühl der Sehnsucht, das Erinnerungen an einen Ort weckt, an dem ich entweder schon einmal war oder sein wollte. Reminiszenzen aus der Clubszene der 1980er Jahre, die über die Bühne verteilt sind, verstärken diese Empfindung noch. Mit einer riesigen Lampe in einer Ecke und einem silbrig-goldenen Stoff, der über dem Publikum schwebt, ist es, als wäre ich auf einem Fotoshooting-Set.

Dann geht das Licht aus und es liegt angeregte Spannung in der Luft beim Auftritt der Performer*innen. Jede*r Einzelne betritt die Bühne mit einer ausgefallenen Geste und einer markanten Bewegung: dem Hände-vor-die-Augen-Halten. Diese Geste kann so verstanden werden, dass sich die Performer*innen entweder davor verstecken oder sich aktiv dazu entscheiden, nicht zu sehen, was passiert, während sie völlig in ihren eigenen persönlichen Welten versunken sind. Der eindringliche Sound mischt sich allmählich ins Geschehen und umgibt mich mit seiner ätherischen Umarmung. Während er sich langsam aus der Ferne nähert, schleicht sich ein Gefühl der Ungewissheit ein, das an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln beginnen lässt. Die hypnotische, fast lautlose Qualität des Klangs regt die Sinne an und ruft eine heftiges Gefühl innerer Unruhe hervor. Diese Empfindung nimmt mit jedem Moment an Intensität zu, erhöht die Aufmerksamkeit und lässt das Publikum tief in ein faszinierendes Erlebnis eintauchen.

Obwohl jede*r Performer*in seinen*ihren eigenen Weg geht, besteht gleichzeitig ein Gefühl der Verbundenheit zwischen ihnen. Sie führen nicht nur die gleiche Bewegung aus, sondern tragen auch aufeinander abgestimmte Kostüme, ähnlich einer Subkultur, die ein gemeinsames Ziel verfolgt. Das erinnert mich an das aktuelle politische Klima, in dem Menschen oft Trost darin finden, die Realität um sie herum nicht anzuerkennen oder zu akzeptieren.

Für mich ist dieses Offenlegen des Verborgenen wie ein kleiner Vorgeschmack auf die Apokalypse ‒ nicht die Hollywood-Variante einer außerirdischen Invasion, sondern der Zusammenbruch der von uns geschaffenen, inszenierten Realität. Die reflexartige Reaktion, uns die Hände vor die Augen zu halten, ist mehr, als uns am Sehen zu hindern; sie symbolisiert einen inneren Kampf, der uns völlig im Griff hat. Die Performance ist wie eine Abfolge verschiedener Kapitel bzw. Szenen angelegt, mit Momenten der Offenheit und des Spannungsaufbaus, die vom Soundtrack begleitet werden.

Die Reise durch die Kapitel erleben nicht nur die Performer*innen, auch das Publikum kann sie nachempfinden. Einige Köpfe wippen, Körper bewegen sich und das eine oder andere Lächeln taucht auf, was ein Gefühl der kollektiven Einbindung in das Geschehen in der Black Box aufkommen lässt. Es fühlt sich wie ein Riss oder eine Störung im Raum an; mein Körper wird plötzlich von einer Welle der Nostalgie erfasst und sehnt sich nach Erinnerungen an ausgelassene Szenen aus dem Clubleben vergangener Tage inklusive wunderbarer Sounds und gemeinsam erlebter Katharsis.

Während ich in Erinnerungen schwelge, tauchen auch persönliche Flashbacks vor meinem inneren Auge auf. Ich denke an meine ersten Begegnungen mit Philipp als Tanzschüler*in, fasziniert von seinem Duett mit Meg Stuart. Ein Jahr später sah ich Ians Solo in demselben Raum, einem White Cube, und staunte über seine Fähigkeit, den Raum auszufüllen und darin zu verschwinden.

Mitten in meiner nostalgischen Reise sehe ich mich mit dem Begriff des alternden tanzenden Körpers konfrontiert. Die Gesellschaft hat eine Illusion der Zeitlichkeit des Körpers von Tänzer*innen konstruiert, aber meine Bewunderung gilt denen, die unablässig an der Vervollkommnung ihrer Kunst arbeiten und die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit ausreizen ‒ nicht nur als Individuen, sondern auch als Kollektiv. Könnte das der Seestern sein, das Symbol der Erneuerung?

 

Mzamo Nondlwana, queer, nichtbinär und darstellende*r Künstler*in, stammt ursprünglich aus Johannesburg, Südafrika. Nondlwanas Arbeit konzentriert sich auf marginalisierte Körper und den Versuch, die koloniale Fantasie zu unterlaufen. Mzamo Nondlwana schloss 2006 die Tanzausbildung am MID (Südafrika) und 2014 bei SEAD (Österreich) ab. Nondlwana arbeitete mit Michikazu Matsune, Doris Uhlich, Magdalena Chowaniec, Needcompany und Michael Turinsky und bildet eine Hälfte von Bicha Boo, einem seit 2017 bestehenden audiovisuellen, performativen DJ-Kollektiv.
 
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