TQW Magazin
Catrin Seefranz über Anthropophagische Trilogie: Act 2 – To Resist von Tamara Cubas

Wissende Körper

 
To Resist von Tamara Cubas

Wissende Körper

Ein Tier ist der erste Akteur der Anthropophagischen Trilogie: Act 2 – To Resist und markiert zu Beginn schnuppernd das Terrain der Performance und dessen Koordinaten: Wildheit, Zivilisation, Gewalt, Widerstand. Erinnert Tamara Cubas mit dem Hund doch an die legendären Cimarrónes, Abkömmlinge von Hunden europäischer Eroberer (verwendet übrigens auch, um Jagd auf die vermeintlichen Wilden zu machen, Millionen Indigene überlebten die Conquista und deren Gewaltexzesse im Namen der Zivilisation nicht), die sich nach und nach wieder in die Wälder zurückzogen, sich der Zähmung, der Kolonialisierung entzogen. Das tänzerische „Rudel“, das von dem Tier beschützt wird, vollzieht genau diese Bewegung: Verwildern ist die Devise, „deokzidentalisieren wir uns!“[1].

Geht es um die „Wilden“, dann tanzen seit Jahrhunderten vor den Augen des Westens die Kannibalen, als ultimative Chiffre des Anderen zur Zivilisation. In schaurig-schönen Bildern wie den splatterartigen Kupferstichen von Theodor de Bry wurden monströse Orgien menschenfressender Ungeheuer imaginiert und lüstern spekuliert: „Did they really?“[2] Von diesem kolonialistischen Kannibalenkitsch, der weiter durch das gesellschaftliche Unbewusste spukt, ist in der Trilogie nichts zu sehen. Sie ist, wie schon die Avantgardebewegung der Antropofagia der 1920er-Jahre, auf die sich Cubas auch bezieht, nur interessiert an dem eigentlich radikalen Moment des Kannibalischen: an der Bereitschaft zur absoluten Hingabe, zur substanziellen Veränderung des Selbst. Auffressen bedeutet aufnehmen und aufgeben. Man wird auch, was man isst.

Es geht, so Cubas, also um nichts anderes und nichts weniger als radikale Transformation. Und diese muss dort ansetzen, wo der Kolonialismus (der immer in Allianz mit Kapitalismus zu denken ist) am existenziellsten angreift: am Körper. Wenn sie in ihrer Arbeit „Formen der Dekolonialisierung“[3] untersucht, dann nicht in romantischer Rückwendung auf präkoloniale Verhältnisse, sondern „durch die Suche nach einem vom rationalen Denken geraubten Körper, der andere Formen der Handlung, der Beziehung, des Wissens kennt, die als primitiv gelten“, wie die Choreografin formuliert.[4] Sie macht sich dabei auf die Suche nicht nach dem begnadeten Körper wie die angeblich ansteckenden, tatsächlich nur ausbeuterischen Spektakel des Exotischen, sondern nach dem „wissenden Körper“, eine Idee der einflussreichen brasilianischen Theoretikerin und Psychoanalytikerin Suely Rolnik, die Cubas inspirierte.[5]

Es ist ein Körper, der aus der Entfremdung und der Betäubung, die die herrschenden Verhältnisse erzeugen, erwacht ist. Ein Körper, der die „Präsenz des Anderen“ aufnehmen kann und sich von „der Welt und den lebendigen Wesen“ in mehrfachem Sinn bewegen lässt. Er muss laut Cubas dazulernen, „sich zu verbinden mit vom Kolonialismus verworfenen Aspekten, mit dem Ritual, dem Mystischen, dem Barbarischen, dem Organischen, dem Gutturalen“.[6] Dabei geht es immer um das Verhältnis zueinander, um das Ausloten eines Begehrens nach einem In- und Miteinander, das im kapitalistischen Beziehungsgeschäft notorisch zerstört wird. Dieses Lernen ist keine leichte Übung, gilt es doch, eine konzentrierte Verausgabung durchzuhalten, in der Momente, wenn auch nicht der Befreiung, dann doch der Mobilisierung oder vielleicht auch nur der Schwingung entstehen.

 

Catrin Seefranz ist Kulturarbeiterin, Kulturwissenschafterin und Lateinamerikanistin. Sie ist Leiterin von kültüř gemma!, einem Projekt zur Förderung migrantischer Positionen in Kunst und Kultur, und Mitbegründerin der Initiative oca:, die Kunst, Vermittlung, Aktivis- mus und Recherche verbindet. Zudem ist sie Autorin des Buchs Tupi Talking Cure zu Freud und zur Psychoanalyse im brasilianischen anthropophagischen Modernismus.

 

 

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[1] So die Formulierung von Tamara Cubas in einem Interview mit dem portugiesischen Journal Publico, www.publico.pt/2014/09/05/culturaipsilon/noticia/a-procura-do-corpo-primitivo-1668348

[2] Die Leitfrage des anthropologischen Klassikers The Man-Eating Myth von William Arens, Oxford 1979.

[3] Wie Anm. 1.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Ebd.

 

 

 
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