TQW Magazin
Berenice Pahl über Augusto von Alessandro Sciarroni

Wo es nichts mehr zu sagen gibt, kann man nur noch lachen, weinen oder brüllen

 

Wo es nichts mehr zu sagen gibt, kann man nur noch lachen, weinen oder brüllen

Neun blau gekleidete Personen beschreiten im Gleichschritt die Bühne. Durchgetaktet formieren sie einen Kreis und marschieren ihre Runden; sie funktionieren, sie gehorchen und beobachten sich kritischen Auges. Uniformiert tragen sie Blau: Jeans und Hemden. Und dann bricht es aus einer heraus und dann gleich aus der nächsten, bis sich alle vor Lachen schütteln – die schöne Ordnung bröselt!

Alessandro Sciarroni bestätigt in seiner Produktion Augusto die These des Philosophen und Soziologen Helmuth Plessner, die besagt, dass in Situationen, in denen keine sinnvolle Antwort mittels Gebärde, Geste, Sprache oder Handlung möglich ist, die körperlichen Vorgänge sich emanzipieren. Lachen (wie auch Weinen) signalisiert den Ausdruck des Verlusts der Beherrschung; es ist die Krisenantwort des Körpers zur Bemeisterung von Momenten, in denen die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten versagen. Lachen schafft Distanz und ermöglicht dem Ich ein souveränes Verständnis des nicht Verstehbaren – Macht in der Ohnmacht und Freiheit im Zwang.[1]

In einer sich selbst disziplinierenden Gesellschaft, in der Glück mit Erfolg gleichgesetzt wird und Machtstrukturen sich in die Körper eingeschrieben haben, müssen Impulse, die diese gefährden, unterdrückt werden.[2] Gemäß dem Philosophen Henri Bergson ist dem Menschen ursprünglich Spontanität und Freiheit zu eigen, und Lachen bestätigt dies, indem es jedes Mal ausbricht, wenn Menschen in einer starren, automatisierten Weise agieren und dabei ihre ureigenen Instinkte übergehen.[3] Mit Anca Parvulescu hat haltloses Lachen nun die Qualität eines Ereignisses, in welchem das Selbst sich zügellos und unwillkürlich entfacht. Lachen ist in sich selbst eine Leidenschaft; eine Leidenschaft für das Reale und zugleich das Zeichen anderer Leidenschaften; ein Ausdruck, dem kein Gefühl zugeordnet werden kann. Das illegitime Lachen, das am falschen Ort zur falschen Zeit herausplatzt, muss deshalb in der Moderne zivilisiert und ästhetisiert werden.[4] Aber Lachen ist menschlich und lässt sich nicht kleinkriegen. Immer wieder bricht es heraus, zu passenden und unpassenden Gelegenheiten. Sein Unkontrolliertes ist ansteckend und kann subversiv wirken. Denn gemeinsam über das Gleiche zu lachen schafft Vertrautheit – es entstehen Nähe, Solidarität und Gemeinschaftsgefühl. Doch so kann Lachen auch ausgrenzen, denn die Gruppe stärkt ihren Zusammenhalt, indem sie diejenigen, die nicht hineinpassen, auslacht und ausschließt.

In einem Akt der Befreiung treffen sich nun die Performer*innen in ihrem Lachen. Sie teilen Widerstand gegen die Normierung und schaffen positive Gefühle. In einer Aufwärtsspirale bringen sie einander lachend Spaß und Heiterkeit; sie rennen, jagen sich; hüpfen und springen vor Freude. Ihre Körper fallen in- und durcheinander. Alles, was unterdrückt war, hat sich einen Weg gebahnt; es platzt aus ihnen heraus und strömt aus den weit aufgerissenen Mündern. Die Tänzer*innen verlachen miteinander Wut und Kränkung. Sie lachen, weil die anderen aus der Norm ausbrechen, weil ihr Verhalten eigenartig ist und sie nicht das tun, was von ihnen erwartet wird. Sie schütteln sich, sie biegen sich, sie keuchen und prusten; sie quietschen, sie kichern und schnauben; sie zucken und sie wälzen sich; sie halten sich den Bauch vor Lachen, sie brechen vor Lachen zusammen, sie bekommen keine Luft mehr vor Lachen; und sie widerstehen lachend den Kräften, die an ihnen zerren, und dem Unheil, das sie bedroht. Sie lachen, weil ihr Lachen absurd und unpassend ist und weil sie gar nicht mehr wissen, worüber sie lachen. Im Theaterraum breitet sich Energie aus. Das Publikum wird hineingezogen und involviert. Sie und wir lachen übereinander und miteinander, das Lachen hat sich verselbstständigt.[5] Und plötzlich kippt es in Erschöpfung und Leere, und der Schmerz ist wieder da – einsam und allein stehen sie im Scheinwerferlicht. Die Stimmung hat sich verändert, die Gemeinschaft ist zerbrochen. Einzelne fangen an zu brüllen; durchdringende Schmerzensschreie durchlöchern den Raum. Das Lachen, das jetzt ertönt, ist dumpf, wütend, verzweifelt und aufbegehrend.

Ja, und dann gibt es noch dieses andere Lachen, das gewaltvolle und brutale, das zynische und feindliche. Das sich über die anderen erhebt; das nicht tröstet und lindert, das keine Distanz schafft zu Kummer und Angst; das nicht lebendig, versöhnlich, entspannend und stärkend ist; das nicht die Absurdität des Lebens verlacht. Seine psychologische Funktion ist nicht Transgression und Heilung, sondern Machtgewinn. Es ist kleinlich, starr und eng; es will die Freiheit des Gegenübers beschränken und sie*ihn in die Schranken weisen.[6] Das kommt in dieser Produktion, in der leider nur zwei Tänzerinnen sich zwischen den vielen Männern bewegen, etwas zu kurz. Irgendwann ist das Lachen der Performer*innen dann auch nicht mehr zu ertragen; es scheint falsch, oberflächlich und banal. Gerade haben wir noch mitgelacht, haben uns anstecken lassen, und dann wirkt alles leer. Und genau dann, als ich mich frage, ob das hier nicht einseitig und beschönigend ist und bar jedes kritischen Blicks, schlägt plötzlich einer der Tänzer zu. Die Frau fällt zu Boden, rafft sich auf, schaut ihn an, und dann lacht sie, verwirrt und verzeihend. Aber er lacht mit und schlägt wieder zu und lacht gewaltvoll, demütigend und brutal; und schlägt wieder zu, und sie lacht nicht mehr. Doch dann fängt sie wieder an, aber jetzt hat ihr Lachen eine andere Qualität. Es ist das erkennende, doch fatalistische Lachen derer, denen nichts anderes mehr übrig bleibt als zu lachen oder zu brüllen oder zu weinen.

Ganz am Schluss, nachdem alle nur erdenklichen Spielarten des Lachens erprobt worden sind und Müdigkeit eingetreten ist, wird die Stille von einem leisen Weinen erschüttert. Es steigert sich und breitet sich im Körper eines Mannes aus. Er krümmt sich – wie zuvor im Lachen –, und seine Qual ergreift den Raum. Ein Tänzer löst sich aus dem ratlosen Schweigen, beugt sich hinab, streichelt den Verzweifelten, hält ihn und beruhigt ihn. Besänftigt, aber beschämt von seinem Ausbruch, seiner Selbstentblößung, lacht der Zusammengebrochene verlegen, und der andere stimmt ein. Liebevoll und verstehend nimmt der Tröstende dem Traurigen die Einsamkeit seines Schmerzes und teilt mit ihm lachend die Hilflosigkeit derjenigen, die lieben wollen, aber doch ungeliebt bleiben.[7]

 

 

Berenice Pahl, 1970 in München geboren, studierte in Wien Schauspiel, Regie, bildende Kunst und künstlerisches Lehramt. Sie lebt und arbeitet als Lehrende, Kuratorin und Performancekünstlerin in Wien. Derzeit schreibt sie an ihrer Dissertation Humor als feministische Taktik in Performance-Art, für die sie 2017/18 mit dem Marietta Blau-Stipendium in New York recherchierte. Der Fokus ihrer künstlerisch-wissenschaftlichen Arbeit liegt auf genderspezifischen und rassismuskritischen Fragestellungen sowie auf Methoden und Strategien der Selbstermächtigung.

 

[1] Helmuth Plessner, „Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens“, in ders., Ausdruck und menschliche Natur, Frankfurt a. M. 1982.
[2] Michel Foucault,
Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt. a. M. 1994; ders., Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège de France 1977/1978, Frankfurt a. M. 2004.
[3] Henri Bergson,
Das Lachen, Hamburg 2011.
[4] Vgl. Anca Parvulescu,
Laughter: Notes on a Passion, Cambridge, Mass. 2010.
[5] Wolgang Iser beschreibt die in sich zusammenbrechenden Positionen als den Kipp-Effekt. Vgl. Wolfgang Iser, „
Das Komische. Ein Kipp-Phänomen“, in: Wolfgang Preisendanz / Rainer Warning (Hg.), Das Komische, München 1976.
[6] In der Humorwissenschaft wird dies der Superioritätstheorie zugeordnet. Es hat eine Tradition, die mit Platon beginnt, mit Hobbes seinen prominentesten Vertreter findet und seine langen Arme bis heute ausstreckt. Vgl. Thomas Hobbes,
Vom Menschen, Hamburg 1959.
[7] Dieses das Ich stärkende Lachen wird der Relief-Theorie zugeordnet. Vgl. Sigmund Freud,
Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Der Humor, Frankfurt. a. M. 2009, online unter https://www.textlog.de/freud-psychoanalyse-humor.html (zuletzt besucht am 19.1.2020); Peter L. Berger, Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung, Berlin / New York 1998.

 

 

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