TQW Magazin
Shirin Omran über Skatepark von Mette Ingvartsen

Wofür skatest du?

 

Wofür skatest du?

SKAAAATEEEENNNNN!!!! Auf der Bühne. Kein Contest mit Teilnehmer*innen, sondern eine Performance vor Publikum, das auf limitierten Sitzplätzen sitzt. Es werden Jacken in der Garderobe abgegeben und Gehörschutz verteilt. Ausverkaufte Halle G. Ein extra für die Performance geplanter Skatepark. Die Personen auf der Bühne teilen an diesem Abend ihre Leidenschaft, ihren individuellen Ausdruck, ihren Bewegungsdrang, ihre Energie, ihre Kreativität, ihre Stimmen, ihre Körper, ihre „Slams“ (unkontrollierte Stürze). Nicht um zu gewinnen, sondern in einem für das Skaten untypischen Kunstsetting.

Wir sehen verschiedene Zustände, Momente, Szenen. Skaten auf dem Skateboard und auf Rollschuhen, mal allein, mal zu dritt, mal zu zehnt. Skater*innen im Volksschulalter und junge Erwachsene. Dazu lassen weitere Personen Akrobatik- und Parkour-Elemente einfließen. Wir sehen eine Person E-Gitarre spielen, eine andere im Beat dazu klopfen, es wird ins Mikrofon gesungen. Eine abwechselnde „Line“ (Abfolge von Tricks), bei der zwei Skater*innen wieder und wieder verschiedene Variationen eines „Boardslide“ (mit dem Skateboarddeck auf einer Stange entlangrutschen) auf einer „Rail“ (lange Metallstange auf Wadenhöhe) absolvieren. Im Rhythmus, getaktet, nacheinander, im Flow. Dazwischen läuft eine Person den Skater*innen nach, sie spielen Fangen. Ein „Ollie“ (Sprung mit dem Skateboard) über eine über den Boden rollende Person, die in einem Autoreifen steckt. Ein Basketball fliegt durch den Park. Mittendrin wird auf dem Bauch durch das Geschehen gerutscht. Wir hören Techno, ein paar Skater*innen drehen entspannte Runden im Kreis, gehen dabei in die Knie, surfen, ineinander, nebeneinander. Die anderen folgen ihnen, der Techno wird schneller, alle werden schneller. Mittendrin rennt jemand hinterher und singt laut ins Mikrofon: „We’re rolling, we’re rolling! Keep rolling!“ Schnelligkeit. Die Szene lichtet sich, es wird ruhiger. Drei Skater*innen fahren durch den Park, auf Rollschuhen und Skateboard. Sie singen wiederholt „Hush, I said there’s more to life than rush“. Am Rand sitzende Skater*innen steigen in den Chor ein, von Gitarre und Stampfen begleitet: „Not gonna leave this place with us, hush.“ Lachende Gesichter, Basketball, Trinkpause, Akrobatik. Ein wahrscheinlich einminütiger Handstand einer rollschuhfahrenden Person auf der „Quarter“ (Viertelkreisrampe). Szenenapplaus. Es wird gefilmt, auf der Bühne und im Publikum. Skateboards werden zu einem improvisierten „Obstacle“ (Hindernis) ineinandergesteckt und aufeinander gestapelt. Wir sehen gelungene und versuchte Tricks, alles echt. Gegenseitiges Anfeuern. Zwei Rollschuhfahrer*innen singen laut zu Elektropunk auf der großen „Quarter“, machen das „Obstacle“ zur Bühne auf der Bühne. Im „Flat“ (gerader Boden) bilden die Skater*innen einen „Moshpit“ (Tanzform, bei der sich die Personen bewusst gegenseitig anrempeln). Der „Kicker“ (kleine Schanze) wird in die Mitte getragen. Alle skaten darüber und holen sich ihre „Airtime“ (Zeit in der Luft), bevor sie perfekt landen oder hart fallen. Ollie, 180, Early Grab. Die Bretter werden auf den Boden geknallt, auf diese Art applaudieren sich Skater*innen zu. Die Musik ändert sich noch einmal: „You’re right in my way, you’re in my fucking way!“ Lautes Mitsingen. Punk für eine gute „Session“ (gemeinsames Skaten). Es wird dunkel im Skatepark. Dann, wenn die Session vorbei ist und alle nach Hause gehen, aber doch noch jemand zurückbleibt. Eine Person drückt sich tanzend, in rollenden Bewegungen gegen die „Quarter“. Hineinpressen, hinaufklettern, nach oben drücken, hinunterfallen. Haltlos, mit dem Wunsch nach Kontrolle, Unbehagen. Still, aber zu unruhig, um zu rasten. Rundherum bewegen sich drei Personen, aus ihren Kapuzen blenden uns Lichter. Stirnlampen? Wir hören das gemeinsame Summen einer Melodie und im Hintergrund eine langsame Bassline. Die Rampe weiterhin besetzt von der Person, die wie ein überfahrener Käfer darauf klebt. „There’s more to life than rush.“ Es wird hell. Die anderen Skater*innen kehren mit maskierten und vermummten Gesichtern zurück. Eine große weiße Flagge wird in der Luft geschwungen. „I tried to calm myself down!“ Sie wollen sich nicht beruhigen. Eine neue Stimmung, ein Protest, eine Demonstration. Stampfend, ringend, tanzend, schreiend. Es baut sich etwas auf, Punk, gebündelte Energie, synchronisierte Bewegungen, Sprünge, im Rausch, Schnelligkeit, bis zur totalen Ermüdung. Verschwitzte Oberteile, ein Gefühl wie nach einer fünfstündigen Skatesession.

Mette Ingvartsen hat richtig erkannt: Skaten ist eine Form von Choreografie. Von Einzelnen ausgeübt, passiert sie im Skatepark nebeneinander und durcheinander. Eine der anfänglich großen Hürden im Skatepark ist es, sich richtig einzufügen, zu verstehen, wie die Routen verlaufen, achtzugeben, Ausschau zu halten, auszuweichen, Platz zu lassen. Die Skater*innen dieses Abends haben ihre Choreografie eingeübt und perfekt getaktet, wie sie sich einfügen. Trotzdem muss Platz zum Ausweichen bleiben, nur gelegentliches Zusammenstoßen, nichts Grobes. Synchronisiert, gleichzeitig wild, sicher nicht einfach zu skaten. Skatepark präsentiert nicht die phänomenale Einzelleistung von talentierten Nachwuchsskater*innen oder erfahrenen Virtuos*innen. Wer technisch perfekte Tricks sehen will, kann sich zahlreiche Contest- und Skatevideos auf YouTube ansehen. Viel mehr als um sportliche Vergleiche geht es um einen kollektiven Ausdruck in Bewegungen. Die Beschäftigung mit der Bühne, die Nähe zum Tanz, das Herausfordern des Kunstkontexts. Alle Geschlechter skaten gemeinsam, bedingungslos, ohne aufs Aug gedrückte Emanzipation und Girl Power. Unterstützend und selbstverständlich, wir sind angekommen. Die Inszenierung lebt von der Musik, von den Abläufen und von jeder einzelnen Person und ihrer*seiner individuellen Art, sich zu bewegen. Unperfekt, deswegen perfekt. In jedem Fall nicht real. Natürlich sitzen wir vor keinem echten Skatepark. Dann würden wir nackte Oberkörper sehen, die aggressiv in sich reinknurren aus Frustration, einen Trick nicht zu landen. Wir würden kleine Kinder, die durch den Park laufen, verscheuchen, weil das kein Spielplatz ist. Ein*e Anfänger*in würde zögerlich die ersten Schritte wagen, dabei glauben, allen im Weg zu sein, und noch nicht verstehen, dass die anderen auch ihr*ihm im Weg sind. Alle würden damit konfrontiert werden, ständig in Vergleich zu treten, gewollt und ungewollt. Erfahrene Skater*innen würden meinen, die Platzhoheit zu besitzen. Obstacles würden von Skater*innen besetzt werden, die für ihre Selbstinszenierung Clips für ihre Videos oder die Social-Media-Accounts filmen. Wir würden verletzten Personen Hilfe leisten und müssten einschätzen, wie schlimm es denn ist, und wir würden unseren Schmerz nicht zeigen wollen, denn „slamen“ gehört dazu. Alltägliche Szenarien, durch die wir navigieren, denen wir ausweichen, die wir konfrontieren. Das in der Inszenierung zuletzt thematisierte Element des Skateprotests kommt nicht von irgendwo. Wer lernt, hinzufallen und wieder aufzustehen, versteht, wie man kämpft. Wer viel Zeit in Skateparks verbringt, weiß, wie divers die Community ist. Wer laut durch die Straßen rollt, versteht, wie sich Freiheit anfühlt und dass dieses Gefühl allen zustehen sollte. Wer erkennt, wenn Jugend- und Subkultur instrumentalisiert wird, wird kritisch gegenüber dem oft opportunistischen, weil kapitalistischen Skateboardingmarkt. Wer als FLINTA*-Person[1] skatet, lernt, mit Problemen in männerdominierten Räumen umzugehen und sie anzusprechen. Wer durch das Skaten das Gefühl von Autonomie erfährt, lernt, für sich selbst verantwortlich zu sein, sich nicht anpassen zu müssen. Wer sich für selbstorganisierte Skateorte engagiert, weiß deren Existenz zu verteidigen. Wer eine Leidenschaft teilen kann, lernt, kollektiv zu handeln. Wofür die Skater*innen in der Schlussszene stampfen und Fahnen schwingen, erfahren wir nicht, doch ich glaube ihnen. Etwas tut sich in dir, wenn du gemeinsam mit anderen für eine Sache einstehst. Sei es für ein konkretes politisches Anliegen oder für das Verbindende, das Skaten an sich. Auf dem Brett hier zu sein, zu skaten, zu stampfen, laut zu schreien, im Moshpit zu tanzen. Diesen Ausdruck von geteilter Erfahrung kann der Markt nur vorheucheln und die Kunst nur darstellen.

 

[1] FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und Agender-Personen sowie für andere Personen, die sich dem Sammelbegriff zugehörig fühlen.

 

Shirin Omran ist in Wien aufgewachsen und beschäftigt sich als Gestalterin mit den Themen Identität und Porträt, Jugend- und Subkultur, Migration und kulturelle Konflikte, Geschlecht und Stereotypen, sowie Irritation und Observation. Sie ist Lehrperson für Kunst und Gestaltung sowie Technik und Design an einer Wiener Schule und ist als Skateboardtrainerin und Jugendarbeiterin in den gemeinnützigen Vereinen Skateboard Club Vienna und Verein Zeit!Raum tätig. Außerdem ist sie politisch und gestalterisch Teil der Skateszene in Österreich und bildet sich momentan in den Feldern autonome Freiräume, soziale Gleichstellung und geschlechtersensible Pädagogik fort.

 

 

 

 
Loading