Zerlegung des Z*barons. Ein Abend, der die Perspektiven verschiebt und die Realität offenlegt.
Was passiert, wenn ein klassisches Operettennarrativ seiner rassistischen Romantik beraubt wird? ROMABARON – KEIN Z*BARON zwingt das Publikum zur Auseinandersetzung – und öffnet einen Raum für Perspektiven, die sonst übersehen werden.
Es gibt Theaterabende, die begleiten eine*n, noch lang nachdem der Applaus verklungen ist. ROMABARON – KEIN Z*BARON war für mich so ein Abend. Der Titel hatte nicht zu viel versprochen: Zu erleben war eine Zerlegung, ein schonungsloses Offenlegen – und zugleich eine beeindruckende künstlerische Neuinterpretation des „Z*baron“-Stoffs. Mit jeder Szene, mit jeder musikalischen Wendung, mit jedem Bild auf der Bühne wurde die alte rassifizierende Erzählung demontiert und neu zusammengesetzt. Ein Prozess, der unter die Haut ging.
Schon beim ersten Einsetzen der Musik spürte ich, wie mein Körper und mein Geist sich in die Erzählung hineinfallen lassen konnten. Diese Klänge waren weit mehr als bloße Walzerreminiszenzen – sie durchbrachen die Grenzen der weißen Musiktradition und ließen andere Perspektiven durchscheinen. Es war, als würde hier auf musikalischer Ebene jene Perspektive hörbar, die sonst oft übertönt wird.
Die Sängerinnen waren nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch herausragend. Mit jedem Rollenwechsel, jeder Geste, jeder Betonung entfaltete sich die Vielschichtigkeit der Charaktere – und gleichzeitig eine kluge, subtile Kritik an der Absurdität jener gängigen Erzählmuster, die als bekannte Perspektiven des white gaze auf Rom*nja und Sinti*zze entlarvt wurden. Eine Kritik, die systemische Probleme offenlegte.
Einer meiner liebsten Momente, die gleichzeitig erhellend und witzig waren, war jene Szene, in der Zuspán seine white tears theatralisch fließen ließ, während er klagte, man dürfe ja heute „nichts mehr sagen“. Über seinem Kopf prangte in grellen roten Großbuchstaben das Wort „SCHWEINEFLEISCH“. Ein bitterkomischer Schlag gegen den Opfermythos der Dominanzgesellschaft.
Besonders eindrücklich war auch die Szene, in der die Diskriminierung und Verfolgung der Rom*nja und Sinti*zze – von der NS-Zeit bis in die Gegenwart – von einer Sängerin in gestresster, fast schon gehetzter Manier vorgetragen wurde. Es war richtig unangenehm, dabei zuzuschauen, die Art der Darbietung erinnerte an eine dissoziative Bewegungsstörung – und genau das traf den Kern: der Versuch, über tief verwurzelten systemischen Rassismus zu sprechen – und wie dieser Versuch von der Dominanzgesellschaft allzu gern als „hysterisch“ abgetan wird. Und doch: Diese Geschichten sind real, diese Wunden sind offen.
Eingebrannt hat sich mir auch das Lied, das die Verblendung der Mehrheitsgesellschaft auf den Punkt brachte: Mit dem schrillen „Gott sei Dank!“ wurde darin der Irrglaube gefeiert, Rassismus sei doch längst überwunden. Die Zeile „Und die Roma? Lieben wir total, das war mal anders, ist jetzt doch egal“ sitzt mir bis heute wie ein Stachel im Ohr. Eine musikalische Ohrfeige für jede Form von Selbstzufriedenheit.
Der Verzicht auf eine Pause nach diesem beklemmenden Teil war für mich eine kluge Geste. Niemandem wurde erlaubt, sich dem Unbehagen zu entziehen. Die Realität bietet Betroffenen schließlich auch keinen Ausweg. Wir als Publikum mussten gemeinsam durchhalten.
Sehr bewegend waren die Videoeinspielungen von Stefan Horvath, der in einfachen, ungeschönten Worten von seinem Leben und vom rassistischen Attentat 1995 erzählte, bei dem sein Sohn und drei weitere junge Roma ermordet worden waren. Diese Momente rissen die theatrale Welt der Inszenierung auf und verbanden sie mit der harten Realität.
Das Bühnenbild setzte dann noch ein visuelles Ausrufezeichen. Die vermeintlich typischen Wellblechhütten und Wohnwagen wurden im Laufe des Abends zu einem Haus umgebaut. Darauf wurden dann die schon beim Einlass eingespielten Publikumsreaktionen nach einer originaltreuen Strauß-Inszenierung projiziert. Durch Dach und Traufe erschienen die Gesichter nun verzerrt und damit die unreflektierten Komplimente für die rassifizierende Darstellung der Rom*nja und Sinti*zze lächerlich. Eine Bildsprache, die auf den Punkt bringt, wie sich Perspektiven verschieben, wenn man genau hinschaut. Ein Kreis, der sich schließt – und ein Stück, das eine*n nicht entlässt, sondern lange in den Gedanken weiterspielt.
Ein Abend, der mich nicht nur inhaltlich, sondern auch emotional gefordert hat – und mich umso mehr darin bestärkt hat, dass genau diese Art von Theater Räume für Perspektiven öffnet, die sonst im Diskurs übersehen werden.
Glossar:
White Gaze: Der Blick der weißen Mehrheitsgesellschaft auf andere Ethnien, oft rassistisch und verzerrt.
Rassifizierende Erzählung: Narrative, die rassistische Stereotype oder Diskriminierung fördern.
White Tears: Empörung von weißen Menschen, wenn sie mit Rassismus konfrontiert werden, oft ohne die wirkliche Problematik zu erkennen.
Dissoziative Bewegungsstörung: ein körperliches Symptom, das durch Trauma oder Stress ausgelöst wird und eng mit der historisch sexistisch geprägten Bezeichnung „Hysterie“ verbunden ist.
Désirée Sandanasamy studierte Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck und spezialisierte sich auf die Bereiche Völkerrecht sowie Minderheiten- und Menschenrechte. Sie sammelte international Erfahrungen, beispielsweise in New York, Paris, Neu-Delhi und Brüssel. Seit 2021 ist sie Rechtsberaterin bei ZARA.