TQW Magazin
Didi Bruckmayr über Gootopia von Doris Uhlich

Zerrinnende Zeit

 

Zerrinnende Zeit

Auf dem Weg zu Gootopia. Gefäße mit gelblichem Inhalt säumen die Gänge. Wo einst prächtige Schimmel die Kanäle mit ihrem Urin schwemmten, füllen nun Köche Dutzende schwarzer, grob anmutender Baumarktkübel mit Zutaten unterschiedlicher Viskosität. Neue Alchimisten.

Geschäftiges Treiben der Bühnenarbeiter*innen. Anstreicharbeiten. Nichts scheint in endgültiger Form. Der schwarze Boden von Bühne und Publikumszone strukturiert durch niedrige, mäandernde Dämme, die Trassen oder Landzungen bilden. Darin wieder zahlreiche große schwarze Kübel voll mit zähen, blasigen Flüssigkeiten, Tümpeln gleich. Eine bleiche, nackte Figur mit Knieschützern zieht auf allen vieren eine Schleimspur, deren Komplexität zunimmt. Weitere Figuren besiedeln an unterschiedlichen Punkten die Landzungen, um mit dem Inhalt der Bottiche eine sonderbare Auseinandersetzung zu beginnen. Schleim von verblüffender Dichte und Dehnbarkeit, der mit jeder Bewegung Luftbläschen bildet, erhält durch die Akteur*innen ein sinistres Eigenleben. Er überzieht nackte Leiber, bedeckt sie wie Leichentücher, hüllt sie ein in Kokons, hält sie fest in Fruchtblasen, bildet Häute und Stränge, verwischt die Konturen, lässt Personen unter dem kargen Bühnenlicht schmelzen oder zerrinnen. Einzelne Figuren häuten sich. Verzerrte Stimmen erklingen von der Publikumstribüne, wo sich ein Mikrofon befindet, das die Performer*innen abwechselnd in ihre zehrende Arbeit mit einbeziehen. Die Schwerkraft und der trügerische Untergrund zerren an den Akteur*innen, zwingen sie in minimale Bewegungen. Erinnerungen an surreale Bilder der Wiener Schule des phantastischen Realismus oder Salvador Dalís werden wach. Schmelzende Uhren … Auch die Zeit scheint zu fließen, sich zu dehnen und zu komprimieren. Wir befinden uns bereits seit mehr als 30 Minuten in einem Wachtraum, der durch pulsierende Musik zusätzlich befördert wird. Transformationen. Metamorphosen. Schmelzende Skulpturen aus einer oder mehreren Personen.

Eine Zäsur. Die Wirklichkeit greift Raum. Regieanweisungen, Entschuldigungen, Kostüme sind in der Waschmaschine, Erklärungen, die den träumenden Schreiber nicht erreichen. Die Akteur*innen, immer in Bewegung, um unter den Schleimschichten nicht auszukühlen, sammeln sich alsdann auf einer Landzunge, bilden eine Anhäufung. In einer trügerischen Stille, durchbrochen vom Keuchen der strapazierten Menschen und vom leisen Surren technischer Geräte, hebt eine groteske Choreografie an. Noch mehr Schleim wird verteilt, mit Wasser und Luft vermengt. Diese Ursuppe verdichtet sich zu Landschaften und Sternennebeln, wirft Blasen, zieht die Körper hinein. Diese verbinden sich zu beweglichen Ketten, Strukturen und Klumpen. Ein Sternhaufen kalbt. Wann kehrte die Musik zurück? Der verwirrte Verfasser dieser Zeilen kann sich nicht erinnern, auch seine hingekritzelten Aufzeichnungen werden zusammenhanglos, verlieren sich in Assoziationen und Zitaten aus Horrorfilmen. Verloren geglaubte Erinnerungen an eigene performative Exzesse mit Hektolitern von Malerfarbe und Schleim aus Kartoffelstärke werden wach. Tragikomische Unfälle auf glitschigem Untergrund, Unterkühlung, Vergiftungen. Das Verdrängte kehrt in der Stadt Sigmund Freuds immer zurück. Dennoch bin ich grundsätzlich geneigt in diesem Urschleim zu baden. Ungeachtet einer großen regierenden Dunkelheit strahlt die Aufführung paradoxerweise Wärme aus. Doch der Zug zurück in die Provinz dient mir als lächerliche Ausrede. Der sonderbare Mikrokosmos beginnt sich zu transformieren. Die Akteur*innen verdichten den Schleim und sammeln ihn mit allerlei Gerät wieder ein, befüllen damit die Kübel. Der Schleim scheint sich förmlich in die Gefäße zurückzuziehen, die Bühne frei zu machen, kurz innezuhalten, um seine wahre Energie in zwei finalen Solos zu entladen. Eine Kreatur erscheint, stößt unter einer dicken Schleimschicht wilde Urlaute aus. Ringt mit dem Schleim, den sie selbst abzusondern scheint. Zieht ein Wesen von sich, aus sich heraus, erschafft sich weitere Organe. Verschwindet nach dem Schöpfungsakt im Publikum. Eine weitere Person tritt auf, wird von einer Schleimpfütze aufgesogen. Wird zu einem Urmeerbewohner. Taucht und atmet durch einen Schlauch, stößt tiefe, gurgelnde Geräusche aus. Spricht in fremden Lauten aus scheinbar großer Tiefe herauf. Erhebt sich, der Schlauch überzogen von Ursuppe. Die Natur überwuchert die Artefakte der Zivilisation. Oder eine gescheiterte Symbiose, wie im Horrorfilm Die Fliege von David Cronenberg, wenn der Proband sich irrtümlich mit Maschinenteilen vereinigt? Auch der Performer verliert den Überblick. Irrt umher und findet schließlich seine Position für das Abschlussbild. Fantastisch in vielerlei Hinsicht!

 

Dr. Didi Bruckmayr, Performancekünstler, Musiker, Universitätslektor, Boxtrainer

 
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