TQW Magazin
Margarete Affenzeller über One Song von Miet Warlop

Zirkeltraining eines sportlichen Orchesters

 

Zirkeltraining eines sportlichen Orchesters

Es geht zur Sache. Miet Warlop bringt ihr Ensemble wieder einmal ordentlich ins Schwitzen. Kein Flecken Trikot, der am Ende von One Song nicht völlig durchnässt ist. Haare, T-Shirts, alles klebt. Man schaut diesen hochleistungserprobten Menschen eine Stunde lang zu und ist als Zuschauer*in nach dem unausweichlichen Mitfiebern selbst erschöpft, weil die gebotene Anstrengung affiziert. Die belgische Künstlerin Miet Warlop arbeitet auf der Bühne auf bemerkenswert offensichtliche Weise mit Sport als performativer Methode.

Schon in ihrem allerersten Stück mit dem Titel De Sportband (2005) traten 20 Performer*innen mit aller Kraft gegen die Zeit an. Auch in Ghost Writer and the Broken Hand Break, das im Oktober 2020 als österreichische Erstaufführung im Tanzquartier zu sehen war, ging es hochdynamisch zu: Drei Darsteller*innen drehten sich 45 Minuten lang wie Derwische unablässig im Kreis. One Song, das aktuelle Stück, das im November in einer Kooperation von Tanzquartier Wien und Wien Modern in Wien seine Österreichpremiere feiert, begibt sich ebenfalls in eine unaufhörliche Loop-Dramaturgie.

Es geht um eine Gruppe von Sportler*innen, die sich vor der Fantribüne wie zum Zirkeltraining versammeln. Auf den Rücken ihrer T-Shirts tragen sie stolz wie einst Rocky Balboa ihre Nachnamen: Lenaerts, Slabbinck oder Tanghe. Nach einem Aufwärmtraining nehmen sie nach und nach ihre Plätze an den Turngeräten ein, wo sie allerdings zugleich ein Musikinstrument bedienen. Es gilt, als Band einen von einem Metronom getakteten Popsong zu performen, wobei die Turngeräte die Musik wesentlich „mitmassieren“.

So liegt beispielsweise der Kontrabassspieler rücklings mit der Riesengeige zwischen den Beinen auf einer Matte und zupft unter unendlich vielen Bauchmuskeleinsätzen seine Takte. Eine Geigerin balanciert beim Spiel auf einem Schwebebalken, ein Sänger singt ohne Gnade auf dem Laufband, und der Keyboarder muss für jeden Griff in die Tasten zeitgerecht ein Sprungbrett in Anspruch nehmen, um die hoch über ihm angebrachte Klaviatur überhaupt zu erreichen.

Der Drummer wiederum findet die Teile seines Schlagzeugsets quer im Raum verteilt und hat also nicht nur alle Hände, sondern auch alle Füße voll zu tun.

One Song ist der vierte Teil der unter Milo Rau am NTGent initiierten Serie Histoire(s) du Théâtre, die sich mit der Frage nach der Bedeutung von Theater befasst. Wer nach einer Antwort tastet, landet schnell bei der Suchbewegung an sich. Denn in einem Loop bzw. in einer Wiederholung immer gleicher oder ähnlicher Liedstrophen (komponiert von Maarten Van Cauwenberghe) bilden sich die minimalen Veränderungen des Spiels, der Gesten, des Klangs umso deutlicher ab und ergeben so ein Perpetuum mobile, ein Bild des Nicht-Aufgebens.

Bis zur regelrechten Erschöpfung praktizieren die Spieler*innen diese launige Partitur eines Liebeslieds, wie ein unendliches Ritual in immer neuen Schleifen. Angefeuert von Hardcore-Fans auf der rückwärtigen Tribüne, die sich in ihrer Begeisterung ebenso verausgaben wie die eigentlichen Akteur*innen. Eingehüllt in dicke Fanschals sind sie am Ende ihrer Ekstase genauso verschwitzt wie die Sportler*innen selbst.

Es geht in One Song also vor allem um das Kollektiv und das kollektive Schaffen, aber auch um die dichotomische Verbindung von Produzieren und Rezipieren, sprich um alle Elemente, die für eine gemeinsame Sache an einem Strang ziehen. Dabei spielt auch eine Sportkommentatorin eine zentrale Rolle, die mit Megafon moderierend dem Ereignis in gewisser Weise vorsteht und auch einmal den Rhythmus des Metronoms manipuliert. Sie stellt die Bühne mit entspannter Stadionstimme vor und bekommt dabei einmal einen durchaus ansteckenden Lachanfall.

Rätselhafter noch bleibt ein Solo-Cheerleader, der dem Unterfangen ebenso engagiert und bewegungsreich seine Unterstützung angedeihen lässt und im Hintergrund wie Sisyphos Wörter auf Gipstafeln stets neu ordnet. Man könnte daraus den Satz „You will never know“ formen. Und ganz so verkehrt liegt man damit wahrscheinlich gar nicht, denn Miet Warlop eröffnet bei aller Stringenz und festgezurrten sportlichen Zirkularität Spielräume für Neuerungen, Unerklärliches und Unberechenbares, sodass das Zuschauen und Zuhören durchgehend spannend bleiben.

 

Margarete Affenzeller, geboren 1971 in Freistadt/Oberösterreich, ist Theaterredakteurin und lebt in Wien. Nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaft arbeitet sie seit 1997 im Kulturressort der Tageszeitung derStandard, davon seit 2008 als Redakteurin.

 

 
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