Zu Vergnügen, Geisteshaltung und Intimität beim Tanzen auf der Bühne mit einer anderen Person
In Dancing with setzt Krõõt Juurak deren Hinterfragung von Theaterkonventionen fort und spielt mit den Erwartungen des Publikums, wenn auch auf andere Art als bei früheren Stücken wie School und Lesson. Trotz deren Ausbildung als zeitgenössische*r Tänzer*in wird in Krõõts Arbeiten bekanntermaßen wenig getanzt. Dey hat ein Faible für das, was man als Performance oder konzeptuellen Tanz bezeichnen könnte, und macht nebenbei sogar Stand-up-Comedy. Nun hat dey unerwarteterweise wieder großes Interesse am Tanzen entwickelt und beschäftigt sich eingehend mit einem Gesellschafts- oder auch sozialen Tanz, dem argentinischen Tango. In den letzten zwei Jahren hat dey wie besessen bei jedem Tango-Event im In- und Ausland Unterricht genommen und getanzt – deshalb steht Tanzen auch im Mittelpunkt deren neuen Show Dancing with.
Aber selbst bei dieser Fokussierung auf den Tanz stellt dey die Erwartungen des Publikums auf den Kopf: „Was den sozialen Tanz von den sogenannten Bühnentänzen wie dem zeitgenössischen Tanz unterscheidet, ist, dass er in erster Linie zum Vergnügen und Genuss der Tanzenden geschieht. Ich finde diesen Aspekt des Tanzens sehr interessant. Wie lässt sich dieses Vergnügen trotz Publikum aufrechterhalten?“ Krõõt betont ausdrücklich deren Hingabe zum Tanz und hofft, während der Show „zu beschäftigt mit dem Tanzen zu sein“ und dadurch zu vergessen, dass dey performt. Dancing with konzentriert sich mehr auf die Intimität des Tanzens als auf das Spektakel, was Krõõts künstlerischen Ansatz widerspiegelt, bei dem die persönliche Resonanz im Vordergrund steht: „Manchmal kann es einer Sache den Spaß nehmen, etwas in Arbeit zu verwandeln, das ursprünglich ein Hobby war, etwas, das man einfach nur zum Vergnügen machen würde. Daher habe ich versucht, mir oft genug in Erinnerung zu rufen, dass es Teil des Konzepts ist, dass das Tanzen ein Vergnügen bleibt und nicht zur Pflicht wird.“
Krõõts Zugang, deren Arbeit auf Freude, Lust und persönliche Interessen zu konzentrieren, hat dazu geführt, dass dey diese Leidenschaft mit deren Kolleg*innen aus der zeitgenössischen Tanzszene teilen wollte. „Tango tanzen hilft mir auch dabei, zeitgenössischen Tanz und Performance neu zu verstehen – es ist wie eine Reise ins All, um die Erde aus der Ferne zu betrachten. Zum Beispiel, dass die Idee des ‚natürlichen‘ Körpers nicht universell ist. Beim Tango gibt es beispielsweise ein anderes ‚natürlich‘ als beim Salsa. Was wir also wieder einmal feststellen, ist, dass alles konstruiert ist. Alles.“
Mithilfe des Tangos hat Krõõt deren Verständnis von Ausrichtung, Musikalität und Verbindung ge- bzw. verlernt. Die Zusammenarbeit mit Vera Rosner und ihren Kolleg*innen – alle Rollstuhlfahrer*innen – hat ihre Sichtweise zusätzlich verändert. „Ich habe gelernt, dass es beim Tango nicht um Schritte geht, und bei Intimität geht es nicht um engen physischen Kontakt, sondern darum, wie präsent man einander gegenüber ist, mit oder ohne körperliche Distanz.“ Diese Erkenntnis ist zu einem zentralen Faktor in Krõõts Herangehensweise an den Tango in deren Praxis geworden.
In Dancing with, moderiert von Luca Büchler als Krõõts Assistent, lädt Krõõt vier Choreograf*innen aus der Wiener zeitgenössischen Tanzszene – Veza Fernández, Lau Lukkarila, Barbara Kraus und Vera Rosner – ein, auf der Bühne des Tanzquartier Wien in die Welt des sozialen Tangos einzutauchen. In spielerischer Anlehnung an die Fernsehshow Dancing with the Stars bittet Krõõt als „Tänzer*in“ vier „Stars“ der Wiener zeitgenössischen Tanzszene zum gemeinsamen Tanz.
Drei Monate lang haben Krõõt und deren Kolleg*innen – jeweils im Einzeltraining – Fertigkeiten und Verbundenheit ge- bzw. verlernt. Krõõt wollte mit jedem*jeder Teilnehmer*in eine individuelle Dynamik aufbauen und hat daher immer wieder unterschiedliche Rollen angenommen: Regisseur*in, Kolleg*in, Lehrer*in und – sowohl führende*r als auch folgende*r – Tanzpartner*in. Während das Zurechtfinden in diesen sich überschneidenden Rollen eine Herausforderung sein kann, bleibt dey der Ehrlichkeit verpflichtet und ermöglicht es den Perfomer*innen, ihre jeweils eigene soziale Tanzidentität zu finden, ohne ihnen fixe Rollen aufzuzwingen. „Ich glaube, dass jede*r tanzen und sich in beiden Rollen wohlfühlen kann, und jede*r hat auch eine Präferenz – also ob er*sie lieber die vorschlagende oder die interpretierende Rolle tanzt.“
Juuraks Geisteshaltung ist tief im Gestalten der Arbeitsbeziehungen mit deren Kooperationspartner*innen verankert. „Ich versuche, auf die Machtdynamiken zu achten, um Situationen zu vermeiden, die ausbeuterisch werden könnten, denn der Hang zur (Selbst-)Ausbeutung ist immer vorhanden“, meint dey. „Um zum Beispiel mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen und aus der Choreograf*in-Tänzer*in-Beziehung auszusteigen, habe ich mit den Performer*innen vereinbart, dass sie rechtlich nicht verpflichtet sind, zu diesem Projekt mehr beizutragen, als zur Generalprobe und zur Premiere zu erscheinen. Natürlich würde es mich sehr freuen, wenn sie mit mir proben und gemeinsam Tango lernen wollen, aber wenn sie aus irgendeinem Grund lieber auf andere Weise mit anderen Lehrer*innen lernen wollen oder wenn sie sich entscheiden, überhaupt nicht Tango zu lernen, werde ich sie nicht dazu zwingen.“
Durch die Weigerung, eine starre Arbeitgeber*in-Arbeitnehmer*in-Dynamik zu diktieren, baut Krõõt traditionelle Machtstrukturen ab und fördert einen Prozess, der auf gegenseitigem Respekt, wechselseitiger Abhängigkeit und gemeinsamer Entscheidungsfindung beruht. Diese ethische Haltung prägt unweigerlich die Performance selbst. „Es beeinflusst wahrscheinlich auch, wie wir tanzen. Ich glaube, dass das sichtbar sein wird. Auf der Bühne ist viel mehr zu sehen, als uns bewusst ist, als wir vielleicht sichtbar machen wollen.“
Im Kern geht es bei Dancing with darum, präsent zu sein bzw. zu versuchen, sich im gegenwärtigen Moment zu verankern. Und um die Freude am Tanzen. Krõõt legt großen Wert auf Ehrlichkeit und darauf, sich beim Versuch, einen bekanntermaßen schwierigen Tanz zu lernen – oder zu verlernen –, der in seiner einfachsten Form nicht einmal echte Schritte hat, verletzlich zu machen. Letztlich ist es so: Während Krõõts Stück etwas ist, das dey auch gerne selbst sehen würde, lädt dey uns alle ein, Teil eines Prozesses zu sein, in dem wir versuchen, präsent zu sein, oder uns fragen, wie wir überhaupt einer anderen Person, einem Tanz, einer Emotion, einer Show gegenüber präsent sein können … Krõõt meint dazu: „Es wird natürlich auch eine Art Spektakel sein und ein enormes Risiko, zu versuchen so zu tanzen, als ob niemand zuschaut, obwohl in Wirklichkeit hundert Augen auf uns gerichtet sind, aber wir werden es versuchen!“
Val Meneau (dey/sie/elle) ist eine französische trans-nichtbinäre multidisziplinäre Künstler*in, Forscher*in und Aktivist*in. Dey arbeitet derzeit als Gastdozent*in für Gender und Queer Studies an der Universität Salzburg. Dey schloss ihre Promotion in Tanzwissenschaft an der Universität Salzburg mit Auszeichnung ab. Für die Dissertation DanceSport’s Economy of Desire (Bloomsbury, tba) erhielt sie ein Stipendium der ÖAW und zwei Preise des BMBWF und der Universität Salzburg. Dey war am Institut für Soziologie in Graz, am Institut für Tanzwissenschaft in Salzburg und im Bereich Gender Studies an der Universität Wien tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Körper- und Sexualpolitiken an der Schnittstelle von Gender, Queer und Critical Dance Studies. Dey ist Co-Autor*in der digitalen Publikation Queering DanceSport (queeringdancesport.com), einem vom FWF geförderten Science-to-Public-Projekt, das sich dem Community Outreach widmet.